„Soldaten sind Mörder“ – Kurt Tucholsky

Ein Text über Gedenken, Traditionen und Potsdam (überarbeitete Version)

Am 12. November 2019 wurde der Gründung der Bundeswehr, der Ermordung Herbert Ritters und dem Revolutionär Maximilian Dortu gedacht. Die Ursprungsereignisse liegen mehr als hundert Jahre auseinander und trotzdem stehen sie miteinander in Verbindung. Sie stehen auch in Verbindung mit der Stadt Potsdam – der Garnison- und Residenzstadt mit ihrer Hof- und Garnisonkirche.

Am 12. November 1955 wurden die ersten 101 Freiwilligen der Bundeswehr aus der Hand des damaligen Bundesministers für Verteidigung, Theodor Blank, unter großem Protest der Bevölkerung vereidigt. Dieser 12. November 1955 gilt als „Geburtstag der Bundeswehr“. Der 12. November war gewählt worden, weil er der 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst war.

Scharnhorst war ein preußischer Generalleutnant und Heeresreformer. Er führte die allgemeine Wehrpflicht ein und gab dem preußischen Heer ein neues Bewusstsein und der Bundeswehr eine Traditionslinie. Traditionspflege wird in der Bundeswehr groß geschrieben. Die Vorgesetzten praktisch aller Führungsebenen der Bundeswehr waren bei deren Gründung 1955 ehemalige Offiziere und Unteroffiziere der Wehrmacht. Unter ihnen waren „notgedrungen“ auch vormals überzeugte Anhänger des NS-Regimes.

Im Jahre 1959 waren von 14.900 Bundeswehroffizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht zu Offizieren ernannt worden, 300 Offiziere entstammten der Waffen-SS. Es ist also kein Wunder, wenn rechtes Gedankengut, trotz allem Gerede von „Bürger*innen in Uniform“ bis heute die Bundeswehr durchdringt, oder Bundeswehrangehörige Glockenspiele spenden und Militärkirchen wieder errichten wollen.

Die konservative Verteidigungsministerin AKK sprach gestern (12.11.2019) vor dem Reichstag anlässlich eines pseudo-öffentlichen Gelöbnisses davon, dass die Soldat*innen aus der Mitte der Gesellschaft kämen. Genauso, wie sie ihre eigene Position mit der Mitte der Gesellschaft verwechselt, verwechselt sie die Repräsentanz der Bundeswehr als Spiegel der Gesellschaft. Der Freiwilligendienst rekrutiert sich in der Außenwahrnehmung vornehmlich aus der rechten Hälfte der Bevölkerung. Immer wieder fällt die Bundeswehr mit rechten Eskapaden auf.

Bis heute ist die Frage nicht gesamtgesellschaftlich beantwortet worden, auf welche Traditionen sich diese Bundeswehr beruft? Auf 350 Jahre preußisch-deutsche Traditionen, inklusive zweier Weltkriege? Oder wird wieder nur das rausgepickt, was gerade in den revisionistischen Kram passt? Auch dies ist ein Manko der Bundesrepublik, welches zu einer kritischen Distanz vieler Ostdeutscher, auch nach 30 Jahren Anschluss, führt.

Die zwiespältige Traditionspflege der Bundeswehr spiegelt sich auch im Wachregiment des Bundespräsidenten wieder. Das Wachbataillon führt seine Tradition über das 9. Infanterie-Regiment der Reichswehr sowie das 1. Garde-Regiment zu Fuß der preußischen Armee bis ins Jahr 1675 zu den „Langen Kerls“ zurück. Sein Schlachtruf ist noch heute in Anlehnung an die Langen Kerls und das 1. Garde-Regiment zu Fuß „Semper Talis“ (lat.: „Immer gleich“ oder auch „Immer vortrefflich“).

Der Semper-talis-Bund, also der Verein der ehemaligen Kameraden des Ersten Garde-Regiments zu Fuß, veranstaltete am 25.10.1931 in seinem „Wohnzimmer“, der Garnisonkirche Potsdam, eine Erinnerungsfeier für den Hofprediger Bernhard Rogge. Das ist einer der Hassprediger, welcher bereits zur Gründung des Deutschen Reiches dieses „in alter Herrlichkeit“ auferstehen sah. In seiner Weihnachtspredigt 1914 in der Garnisonkirche schürte Rogge die Mähr vom aufgezwungenen Krieg und stilisierte das Deutsche Volk wiederholt als ein von Gott auserwähltes Volk.

Während 1931 fast wöchentlich in der Garnisonkirche Heldengedenken stattfand, wurde am 12. November 1931 Herbert Ritter auf dem auf dem Friedrich-Kirch-Platz (heutiger Weberplatz) von Günter Güstrau, einem Mitglied der faschistischen Sturmabteilung (SA), niedergeschossen.

Der damals noch eigenständige Ort war zur damaligen Zeit bekannt als das „Rote Nowawes“ und stand im Konflikt mit dem konservativ-preußischen Nachbarn Potsdam. Im Sog der immer schwächer werdenden Weimarer Republik kam es in Potsdam zum Erstarken der nationalistischen und faschistischen Kräfte und in Nowawes zu Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten.

Herbert Ritter war aktives Mitglied in der Nachwuchsorganisation der KPD, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), und wurde im Alter von 17 Jahren ermordet. Er war damit das erste Opfer des Faschismus in Nowawes.

Die Sturmabteilung (SA) des Mörders Güstrau, die faschistischen Parteien NSDAP und DNVP wurden in den Folgejahren Stammgast in der Garnisonkirche. So feierten sie gemeinsam mit den Preußenprinzen Eitel-Friedrich und August-Wilhelm und dem Infanterieregiment 9 (dem Traditionsregiment der Bundeswehr) dort 1933 erstmals königlich-göttlich Weihnachten (am 20.12.).

In einem Brief an den Reichswehrminister Wilhelm Groener verwies der preußische Kronprinz wenige Jahre zuvor auf „das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt“; etwas später wollte er auch „mal eine Anzahl Kommunisten aufs Pflaster gelegt“ sehen. Herbert Ritter war dann einer von den gewünschten Opfern.

Während die Bundesverteidigungsministerin AKK gestern in Berlin unter einem gigantischen Polizeiaufgebot und einer weiträumigen Abriegelung rund um den Reichstag, diesem preußisch-deutschen Militarismus huldigte, trafen sich auf dem Weberplatz viele junge Menschen zum Gedenken an Herbert Ritter.

Die Gedenktafel befindet sich am Westgiebel der ehemaligen Webschule am Weberplatz/Ecke Wichgrafstraße. Am 12. November 2010 wurde während des Gedenkens an seine Ermordung von Anhängern des SV Babelsberg 03 und Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) die verschollen geglaubte Gedenktafel am Gebäude des damaligen Bildungszentrums der IHK Potsdam freigelegt. Sie befand sich unter dem Namensschild dieser Einrichtung. Eine Würdigung der Stadt Potsdam von Herbert Ritter gibt es seit 1990 nicht mehr.

Parallel zum Gedenken an Herbert Ritter wurde gestern am Landtag dem Revolutionär und Demokraten Max Dortu gedacht. Das traditionelle Gedenksteinwerfen fand unter einem großen Aufgebot der Polizei statt. Mit einem „Betreuungsschlüssel“ von 3:1.

Im März 1848 unterstützte Max Dortu die revolutionäre Bewegung in Berlin. Er trat dem „Politischen Verein“ in Potsdam bei und wurde bald dessen wichtigster Sprecher. Nachdem der damalige Prinz von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I., geäußert hatte, dass man die Aufständischen niederkartätschen müsse, gab Max Dortu ihm am 12. Mai bei einer Demonstration den später berühmt gewordenen Beinamen „Kartätschenprinz“.

Max Dortu wurde deshalb wegen Majestätsbeleidigung zunächst zu 15 Monaten Festungshaft verurteilt. Mit Hilfe seines Vaters legte Dortu Berufung ein, konnte die Aussetzung des Urteils erreichen und wurde aus der Berliner Hausvogtei entlassen. Am 10. November 1848 ließ der König durch das Militär die Beratungen der preußischen Nationalversammlung – einem demokratischen Gremium – in Berlin auflösen. In Berlin galt dann der Ausnahmezustand. Militär wurde in die Stadt verlegt, um etwaige Unruhen zu unterdrücken.

In dieser Situation beschloss auf Initiative Max Dortus am 12. November 1848 eine Volksversammlung die Zerstörung der Eisenbahngleise nach Berlin. Dortu und seine Freunde rissen in Nowawes die Eisenbahnschienen heraus und kappten die Telegrafenverbindung in die Hauptstadt. Damit wollten sie verhindern, dass in Potsdam stationierte Gardetruppen zur Bekämpfung des Aufstandes nach Berlin transportiert werden. Am Abend dann zogen die revolutionäre zum Stadtschloss, wahrscheinlich auch um Gefangene, die in den dort befindlichen Arrestzellen einsaßen, zu befreien. Die Mange skandierte: „Nieder mit der Monarchie!“ und drückt den Protest auch mit handlichen Argumenten aus: mit Pflastersteinen. Deshalb das Gedenksteinwerfen.

Max Dortu wurde von da an per Haftbefehl gesucht und konnte fliehen. Er schloss sich der Badischen Volkswehr an, die in Süddeutschland bewaffnet für die Republik kämpft. Und wieder sind es preußische Truppen die den Aufstand niederschlugen. In Freiburg wurde Max Dortu am 7. Juli verhaftet und am 11. Juli wegen Desertion und Kriegsverrats zum Tode verurteilt. Ein preußisches Erschießungskommando richtete ihn am 31.07.1849 in Freiburg-Wiehre hin. Die letzten Worte des 24-jahrigen waren „Ich sterbe für die Freiheit. Schießt gut, Brüder!“.

Preußische Soldaten waren nie auf Seiten der Demokratie. Weder 1848, noch 1918 oder 1933. Auch nicht im Juli 1944. Die Aussage von Kurt Tucholsky „Soldaten sind Mörder“ stammt aus der Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“, die er am 4. August 1931 (drei Monate vor der Ermordung Herbert Ritters) in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ publizierte. Diese wurde übrigens seit 1927 in Potsdam gedruckt. Unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel schrieb Tucholsky: „Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder.“

Er kritisierte in seinem Text noch nicht die aufkommenden Nazihorden in Potsdam, sondern die Feldgendarmerie im Ersten Weltkrieg. Diese Truppen ermordeten beispielsweise Deserteure. Feldgendarmerie gab es in der Weimarer Republik nicht. Erst wieder bei der Wehrmacht. Die Bundeswehr benannte im traditionsreichen preußischen Sinne ihre militärische Ordnungstruppe nicht als Feldgendarmerie, sondern als Feldjäger. Symbol der deutschen Feldjägertruppe ist der preußische Gardestern (Stern des von Friedrich I. gestifteten Schwarzen Adlerordens mit der Devise Suum cuique, lat.: „Jedem das Seine“).

Hier der Text zum Download:

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