Eine Chance zur Versöhnung

Mosaik „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“; Josep Renau, Erfurt

Die Wüstenrot-Stiftung interessiert sich für den Erhalt des Fritz-Eisel-Mosaiks, wenn auch das RZ erhalten bleibt. Libeskind will sich mit seiner architektonischen Keilschrift ebenfalls im Geschichtsbuch der Stadt verewigen. Auch der lernort-garnisonkirche.de zeigt, dass es ein überregionales Interesse an diesem Ort gibt. Arte – der Kulturkanal berichtet über die Stadt, das Rechenzentrum. Ein Vereinsziel des FÜR e.V.: „Erhalt des Mosaiks in situ“ findet auf nationaler Ebene endlich Widerhall. Und die GK-Stiftung poltert im bekannten Stil – unversöhnlich.

In situ bedeutet „unmittelbar am Ort“ oder „in der ursprünglichen Position“. Wer also das Denkmal „Der Mensch bezwingt den Kosmos“ ernsthaft in seinen Kontext erhalten will, muss auch den Erhalt des Rechenzentrums fordern. Es hat keinen Tag nach der Offerte der Wüstenrot-Stiftung gedauert, dass die RZ-Nachbarin – die Stiftung Garnisonkirche – lauthals über ihren Bretterzaun verkündet: „Wir lehnen den Erhalt des Mosaiks am Rechenzentrum ab.“

Es kommen dazu die üblichen Floskeln: „Zusammen mit der Fördergesellschaft begrüßt die Garnisonkirschenstiftung die Überlegung der Wüstenrot-Stiftung, das Mosaik Der Mensch bezwingt den Kosmos zu restaurieren.“ „Hiermit jedoch den umstrittenen Erhalt des Rechenzentrums zu verbinden und die stadtplanerischen und rechtlichen Rahmenbedingungen und bestehende Verträge zu ignorieren, kommt sicher nicht in Betracht“. Es klingt wie ein Leierkastenmann von nebenan.  

Eine Stiftung die aller Welt erklärt, dass es notwendig sei, eine 1:1-Kopie der alten Hof- und Militärkirche am Originalstandort zu errichten, um Geschichte erlebbar zu machen, verlangt im gleichen Atemzug, dass echte Denkmäler geschliffen oder an andere Orte verbracht werden. Das ist die Tilgung von Geschichte und verlogen. Eine Stiftung, die ständig davon faselt, dass die Form dem Inhalt folgen sollte, baut eine historische Form ohne ein inhaltliches Konzept für diese barocke Kitschfigur (Turm) zu haben. Sie baut einen Hohlkörper! Eine Stiftung die aller Welt versprach, das Projekt mit Spenden zu finanzieren, liegt mit über 20 Mio. Euro direkten und weiteren 80 Mio. Euro der öffentlichen Hand auf der Tasche! Wie kann sich eine solche Stiftung selbst noch ernst nehmen? Wie kann die Stadtgesellschaft das Duo Stiftung/Förderverein noch ernst nehmen?

Die Stadtpolitik sollte ernsthaft darüber nachdenken, wie sie ihr Geschenk, das Grundstück zurückholt oder die Hoheit über dieses wiedererlangt. Die Stadt steht an einem Wendepunkt. 30 Jahre Rückwärtsorientierung im städtebaulichen Leitbild könnten ein Ende haben. Das Interesse außerhalb der Retro-Retorte Potsdam ist groß! Was wird aus dieser Stadt? Ein Museum oder eine Stadt für alle. Eine Stadt, die ebenso preußische Residenz war wie sozialistische Bezirksstadt. Beides hatte seine Zeit und beides hatte schlimme Folgen, je nach Betrachtungswinkel. Beides sollte erkenn- und erlebbar bleiben. Nun kann sie zudem auch eine Stadt der Zukunft werden, in der nicht nur goldene Figürchen, sondern auch bunte Elemente der Vielfalt ihren Platz haben. Die Chance – sich als weltoffene Wissenschaftsstadt zu präsentieren, hat sie schon vor Jahren mit den altbackenen Ideen vertan. Eine Stadt der Kultur könnte sie sein. Kultur und Kunst sind aber nicht nur Schlössernacht, bunte Lichterabende und private Museen. Dazu gehören auch kreative Menschen IN der Stadt. Das RZ hat das Potential ein solcher Kristallisationspunkt zu sein, anders als des geplante KreativQuartier, dem jegliche Authentizität fehlen wird.

Die Wüstenrot-Stiftung ist kein kleiner Player. Sie war auch schon in Potsdam aktiv. Und ist es auch aktuell am Einsteinturm. Die Wüstenrot Stiftung hat 1997-99 die bisher gründlichste Sanierung des Turms durchgeführt. Am 1. Juli 1999 wurde der Einsteinturm – ein Turm von wirklich internationaler Bedeutung – im Rahmen einer Feierstunde wieder der Nutzerin, dem Astrophysikalischen Institut Potsdam, übergeben. Nun ist der Turm wieder sanierungsbedürftig, insbesondere wegen Rissen im Putz, Schäden an den Oberflächen und Wassereintritten an undichten Stellen. Die Wüstenrot Stiftung hat sich dazu entschlossen, aufbauend auf den Erkenntnissen der letzten Instandsetzung, den Einsteinturm erneut in ihr Denkmalprogramm aufzunehmen und im Zuge dessen auch eine erneute Reparatur durchzuführen.

Die Wüstenrot Stiftung übernahm in eigener Regie und Verantwortung die Revitalisierung des „Jan Bouman Haus“ in der Mittelstraße 8. Es geht also nicht immer nur um die Rettung der Moderne, oder Ostmoderne, sondern um Projekte mit Substanz. Dies zeigt die Spannbreite der Stiftungsarbeit. Selbstverständlich ragen für die einen eher die Bauhaus-Meisterhäuser in Dessau, das Haus Schminke in Löbau, Le Corbusier-Haus in Stuttgart oder die Schalenbauten von Müther auf Rügen heraus. Es gibt aber auch die „alten“ Gebäude: Goethes Wohnhaus in Weimar oder das Biblische Haus in Görlitz.

Wüstenrot hat bereits ein Mosaik rekonstruieren lassen und vor dem Verrotten in den Archiven der Denkmalpflege bewahrt. Das Renau-Mosaik in Erfurt wurde ursprünglich 1984 eingeweiht und 2012 abgehangen. Das Mosaik, welches seit 2008 unter Denkmalschutz steht, wurde eingelagert. Nach einer Zeit der Unschlüssigkeit entschied sich die Kulturdirektion 2014 dafür, das Werk wieder anzubringen. 2019 war Einweihung. Das Außenwandbild „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ war wieder für alle zugänglich. Ganz im Sinne von Josep Renau. Er wird gern zitiert mit „Ich male nicht für das Zentralkomitee, ich male nicht für die Partei, ich male nicht für die Kunstkritiker, sondern ich male für die Leute, die sich nicht für Malerei interessieren. (…) Damit die Leute heute Kunst zu sehen bekommen, müssen sie in ein Museum, eine Galerie oder eine Ausstellung gehen, aber das ist nach meiner Ansicht falsch, denn die Kunst muss zum Menschen kommen, in jedes Haus, ohne zu fragen!“

Schon viel zu viel Kunst ist aus dem öffentlichen Raum verschwunden, oder wurde versetzt in abgelegene Bereiche der Stadt. Die Transparente Weltkugel ist ein Beispiel, bestehend aus zwei Zitaten von Goethe und Marx – zwei großen Denkern. Vom Wissenschaftsforum verbannt zu einem Marktcenter. Wie passend für diese Zeit. Ideologische Bereinigung steckt dahinter, nicht Auseinandersetzung. Kunst der jüngeren Vergangenheit verstellt den Blick für das „Zurück ins Alte“. Deshalb musste sie schon mehrfach aus den touristischen Regionen der Stadt verschwinden. Zurück ins 19. Jahrhundert, in die wilhelminische Zeit, in eine vermeintlich heile Welt, in der es soooo schön war. Nur nicht für die Menschen, die damals lebten und unter der Regentschaft Preußens litten oder gar vernichtet wurden.

Die Offerten von Libeskind und der Wüstenrot-Stiftung sind eine Chance für die Stadt. Jetzt muss nur noch die Stiftung Garnisonkirche einlenken und einsehen, dass eine Kopie der ehemaligen Hof- und Garnisonkirche keine Mehrheit und keine Zukunft hat. Es war die Idee alter Männer, aus einer alten Zeit, mit altem Gedankengut – gepaart mit Eitelkeit. Der Stiftung Garnisonkirche fehlt es an einer tragfähigen Perspektive für den Turm, an Inhalt und an Geld für dessen Realisierung. Das Schiff war und bleibt ein Luftschiff. Die Stellungnahmen der Stiftung machen es deutlich: Sie sucht nicht den Kompromiss für diese Stadt. Sie steht nicht für Versöhnung.

Nicht nur das Bauprojekt der Stiftung Garnisonkirche, sondern sie selbst, wird immer mehr zum Symbol von Gestrigkeit.

.

image_pdfRunterladen als PDF

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert