#AlarmstufeRot!

Die Veranstaltungswirtschaft kämpft ums Überleben und die Beschäftigten fühlen sich als die Vergessenen in der Corona-Pandemie. Dabei ist die Eventbranche mit einem Umsatz von 130 Milliarden Euro der sechstgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland. Corona aber hat dem Umsatz seit dem Frühjahr um 95 Prozent einbrechen lassen und mehr als eine Million Beschäftigte in Existenznöte gestürzt. Dies sind mehr, als die Autobranche deutschlandweit an Beschäftigte hat. Auch in Potsdam stehen viele Einrichtungen und ihre Angestellten, sowie die vielen Soloselbstständigen und Freiberufler*innen auf der Kippe.

Keine Veranstaltungen, keine Einnahmen – die Fixkosten aber bleiben. Viele Unternehmen haben schon aufgegeben. Zum zweiten Mal rief deshalb das Aktionsbündnis #AlarmstufeRot heute zu einer Demonstration in Berlin auf, symbolisch um fünf nach zwölf am Alexanderplatz. Tausende Teilnehmer*innen waren dabei, es gelten Maskenpflicht und Abstandsregeln. Und sie wurden eingehalten.

„Alarmstufe Rot“ proklamierte parallel dazu auch das Kanzlerinnenamt. Angela Merkel holte die Ministerpräsident*innen per Videokonferenz zusammen. Es wurden neue Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie vereinbart. Alarmstufe Rot muss es auch für die Bürger*innen heißen. Die beschlossen Maßnahmen setzen sicherlich den Anstieg der Fallzahlen kurzzeitig außer Kraft, aber helfen werden sie nicht wirklich. Selbst Mediziner*innen und Virolog*innen sagen laut und deutlich, dass so kein Staat gegen Corona zu machen ist. Nicht die Neuinfektionszahlen sind wirklich relevant, sondern die Zahlen derjenigen, die das Gesundheitssystem beanspruchen. Ganz speziell diejenigen, die Intensivbehandlung benötigen. Wo sind denn die Zusatzkräfte für derartige Einsätze? Wo sind die zusätzlichen Pfleger*innen und Hilfspersonen? Was wurde gegen die permanente Überlastung des Personals seit der ersten Welle getan? Es gibt keine strukturellen Änderungen am Gesundheits- oder Pflegesystem, dessen Finanzierung und deren Personalausstattung. Die Lernkurve der Politik geht gen Null.

Diese überregionalen Themen sind nicht der Schwerpunkt von potsdam-stadtfueralle. Aber sie betreffen uns alle. Und unsere Stadt. Es schreit deshalb nach Kommentierung.

Alarmstufe Rot muss der Beitrag auch heißen, weil die Regierenden keinen wirklich langfristigen Plan haben. Sie haben den Sommer verschlafen. Es gibt keine Leben nach Corona, sondern nur noch mit Corona. Wann werden die Anstrengungen auf das Notwendige ausgerichtet und nicht auf das leicht Machbare?

Natürlich muss das Gesundheitssystem kurzfristig vor Überlastung geschützt werden. Es muss aber auch endlich in ein Wohlfahrtssystem umgewandelt werden und nicht als profitorientiertes Gewerbe weitergeführt werden. Das Bergmann ist ein Paradebeispiel (bisher kein Tariflohn, Überschüsse flossen in die Stadtkasse oder dienten dem Aufkauf anderer Einrichtungen, unrentable Behandlungen wurden eingespart…). Nichts wurde zur Neuausrichtung der Krankenhäuser oder dem Abrechnungssystem der Leistungen seit der 1. Corona-Krise auf Bundesebene beschlossen. Nichts wurde an den Arbeits- und Lohnverhältnissen der Menschen geändert, die sich in Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen systemrelevant kaputtrackern.  Nichts wurde beschlossen, um die Berufsausbildung solcher Berufe ernsthaft leichter oder attraktiver zu gestalten.

Nahezu verantwortungslos und alarmierend ist das Agieren der Bundesregierung und der Ministerpräsident*innen, da bis heute keine wirklichen Schutzmechanismen für die Hochrisikogruppen – die ältere Bevölkerung – ergriffen wurden. Es muss doch möglich sein, Heime zu schützen UND Besuch zu ermöglichen! Das System der Nachverfolgung der Ansteckungen ist zusammengebrochen. Teuer erkaufte Apps wirkungslos. Hier muss agiert werden! Der Blindflug muss beendet werden und das Agieren auf eine verlässliche Datenbasis gestellt werden!

Alarmstufe rot – das Fragenkarussell läuft heiß:

Bei jedem Hochwasser ist es üblich, dass Beschäftigte aus öffentlichen Einrichtungen die Fachleute vor Ort unterstützen, durch Logistik und zahlreiche Hilfsmaßnahmen. Wieso gibt es bis heute keine „Einsatzgruppen“ für sich zuspitzende Corona-Lagen? Wieso werden hunderte von Beamt*innen ins Homeoffice geschickt, statt sie temporär in Hotspots als helfende Hände einzusetzen? Ist dies zu viel verlangt von Menschen, die alimentiert werden (d.h. pauschal bezahlt werden) und sich dem Dienst am Staat verschrieben haben? Wann, wenn nicht jetzt, braucht der Staat eine besondere Anstrengung.

Die Menge der Berufspendler*innen zwischen Potsdam und Berlin beträgt alltäglich über 30.000 Personen. Ein Großteil erledigt diese zwei Fahrten pro Tag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. In jeder Straßenbahn, S-Bahn oder U-Bahn sitzen mehr Menschen als bei einer Corona-Vorstellung im Hans-Otto-Theater. Abstände von 1,5 oder 2 Meter sind in den Öffis überhaupt nicht einzuhalten. Trotzdem fahren sie und schließen nicht im November. Wieso wird dies geduldet, aber ein Kinobesuch im Thalia mit entsprechendem Abstand verboten? Wie viele Corona-Ansteckungen basieren auf Theaterbesuchen?

Mensch fragt sich, wozu haben Kinos, Theater, andere Kultureinrichtungen, Gaststätten und Kneipen Hygienepläne erarbeitet und teilweise ihre „Läden“ mit entsprechender Technik nachgerüstet? Damit sie jetzt zumachen müssen? Damit sich das „gesellige“ Leben in die nicht zu überwachenden Privaträume verlagert? Damit die Vereinsamung derer zunimmt, die sich durch die allgemeine öffentliche Angstmache noch mehr zurückziehen? Wir sollen nur noch raus zum Schaffen und Shoppen .

Die Event- und Gastro- und Übernachtungsbranche soll herhalten um die Produktionsbetriebe, die Bauindustrie und andere Bereiche am Laufen zu halten. Dadurch, dass die Verbreitungskette von Corona überhaupt nicht mehr nachvollzogen werden können, ist überhaupt nicht belegt, dass die Nutzung der Event- und Gastro- und Übernachtungsangebote unter Einhaltung der Hygieneregeln, wesentlich zum Corona-Verbreitungsproblem beitrugen oder beitragen. Die beschlossen Maßnahmen kommen somit einer indirekten Schuldzuweisung gleich.

Eine Stadt wie Potsdam ist eine Kultur- und Wissenschaftsstadt. Die gemeinsamen Aktivitäten von Kultur-, Kreativschaffenden und der Stadt innerhalb #KulturMachtPotsdam werden durch die aktuell geplanten Beschlüsse erschwert, fast torpediert. Das „Land der Dichter und Denker“ verfällt erneut in die Kulturlosigkeit.

Die Kulturhauptstadt Europas 2025 heißt Chemnitz. Glückwunsch. Auch das gehört zu diesem Tag.

Der politische Aktionismus auf den falschen Aktionsfeldern bedeutet gesellschaftspolitisch Alarmstufe Rot. Denn so verliert die Gesellschaft Vertrauen in die Machthaber*innen und die Coronaleugner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen bekommen Auftrieb.

Ein Monat lang Notbremse… und dann? Was kommt dann? Planlosigkeit.

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