Mieterhöhungen in Potsdam – Zwischen Wut und Ignoranz

Im Oktober haben viele Menschen in Potsdam Briefe bekommen, in denen Mieterhöhungen angekündigt worden. Darunter rund 3.000 Mieter*innen der kommunalen Gesellschaft ProPotsdam und viele andere des von der Stadt Potsdam jahrelang beförderten Immobilienunternehmens Semmelhaack – mitten in der sozialen Krise der Coronapandemie.

Besonders betroffen waren Mieter*innen in der Teltower Vorstadt. Hier waren die Erhöhungen besonders massiv und meist bis an die Grenze des rechtlich Machbaren.

Seitdem macht sich Unmut breit, gründen sich neue Mieter*inneninitiativen, werden offene Briefe verfasst und Forderungen an die Stadt formuliert.
Und: Seitdem kann man in den Reaktionen der Stadt, der kommunalen Politik und der ProPotsdam gut beobachten, mit welcher Ignoranz hier die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen behandelt werden.

Denn in der Teltower Vorstadt gibt es noch eine andere Geschichte. Aus der Perspektive der Stadt ist es eine Erfolgsgeschichte. Ein internationaler Finanzinvestor möchte auf dem ehemaligen RAW Gelände einen IT – Campus errichten, für 1.400 hochqualifizierte IT – Techniker*innen und auf 20.000 m². Die Anwohner*innen hingegen machen sich Sorgen um ihr Quartier, befürchten Mieterhöhungen und Verdrängung. Immerhin zeigen Beispiele aus anderen Städten mit ähnlichen Projekten, dass genau dies passiert: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gentrifizierung-wo-grosse-firmen-normale-buerger-verdraengen-1.4210657
Seit nunmehr über 2 Jahren gibt deshalb einen erbitterten Streit darüber, was nun wichtiger in der Stadt sei: Die Sorgen und Bedürfnisse der Mieter*innen oder die Interessen der Finanzinvestor*innen sowie wirtschaftliche Hoffnungen der Stadt.

Wir haben zu diesem Thema in den letzten Wochen viele Mails, Nachfragen, Unterlagen und wütende Statements bekommen und haben mal zusammengestellt, wie in der Stadtverordnetenversammlung und der ProPotsdam argumentiert wird.

Aus den uns zugesandten Unterlagen und Schreiben ergibt sich ein recht klarer Trend. Die ProPotsdam hat die Mieten in dem Quartier in fast allen ihrer Wohnungen erhöht. Dabei reichen die Erhöhungen von 20 – 30 € bis über 100 € pro Wohnung.

Oft schreiben die Mieter*innen, dass ihnen in den letzten Jahren bereits mehrmals die Miete erhöht wurde. Die Aussage, dass dies bis an die „Grenze des rechtlich möglichen“ geht, ist hier durchaus nachweisbar. Bestätigt wird das durch Informationen, dass bei der ProPotsdam offensichtlich ein Computerprogramm verwendet wird, was automatisch die möglichen Erhöhungen berechnet. Ein wichtiger Aspekt, auf den uns Mieter*innen verwiesen haben, ist, dass fast überall in den Begründungen, die sogenannte „Spanneneinordnungen“ ausschließlich positiv und aufwertend für die Berechnung der Mieterhöhungen verwendet wurden. So schreibt uns ein Mieter: „Merkmal 1: Bad mit Fenster oder modern gesteuerter Entlüftung (+6) Das Merkmal mag für einen Teil der Altbauten als wohnwerterhöhend angesehen werden, für Neubauten ist das Merkmal ein Freibrief für eine höhere Spanneneinordnung. Gemäß DIN 18017-3 müssen Bäder ein Fenster oder eine Entlüftungsanlage haben. Hierzu gibt es analoge Richtlinien des Landes Brandenburg. Das bedeutet, dass alle Wohnungen, die in die Berechnung der einzelnen Mietspiegelfelder fallen, dieses Merkmal aufweisen. Es handelt sich um einen Baustandart und nicht um ein wohnwerterhöhendes Merkmal.“

Für den Bestand des Immobilienunternehmens Semmelhaack im Quartier ist die Situation ähnlich. Da hatten uns Mieter*innen schon länger darauf verwiesen, dass der Vermieter die anfangs ja durchaus relativ günstigen Wohnungen regelmäßig und bis an die Grenzen des Möglichen erhöht. Auch in dieser Runde der Mieterhöhungen verweist Semmelhaack auf den Mietspiegel und deren Vergleichsmiete. Dabei reichen die Mieterhöhungen in der Regel von 20 € bis knapp 50 € pro Wohnung. Ganz typisch bei den Semmelhaack – Wohnungen ist die relativ starke Fluktuation. Auszüge und Neuvermietungen aber nutzt das Immobilienunternehmen sofort, um die Nettokaltmieten stark zu erhöhen – in der Regel auf über 10 €/ m² – wie ein Blick in einschlägige Immobilienportale zeigt. Hier hier wollen wir einen Mieter zitieren: „Semmelhaack hat bei mir mit einem moderaten Staffelmietvertrag angefangen, alle 3 Jahre einige Euro mehr. Nach Ablauf von 2 Erhöhungen kam nach einiger Zeit eine Erhöhung um 2,5 %. Interessanter ist, dass Semmelhaack bei Neuvermietungen enorm zugelegt hat. Ich hatte vor 10 Jahren noch für Neubau 7 € Nettomiete, inzwischen geht bei Semmelhaack nichts mehr unter 10 € jedenfalls wenn ich Immobilienscout 24 zu Grunde lege. Das sind über 40% Steigerung. Und das betrifft auch die „Hühnerställe“ am Bahnhof.“ Deshalb wehren sich auch hier die Mieter*innen:

Die Wirkung, welche die aktuellen Mieterhöhungen im Quartier haben, können wir gut dokumentieren. So schreibt uns eine Mieter*in: „Eine Nachbarin hat freigiebig berichtet, dass sie sich daraufhin bereits eine neue Wohnung gesucht und Ihr Recht zur außerordentlichen Kündigung ihres Mietvertrags bei Semmelhaack genutzt hat. Die Gentrifizierung ist damit nach unserer Auffassung bereits ins Rollen gekommen…“. Und: „Das Nachbarhaus gehört privaten Vermieter*innen, dort gibt es keine Mieterhöhungen – warum ausgerechnet durch die ProPotsdam?“

Gleichzeitig gab es mehrere Treffen von wütenden Mieter*innen, die Anwohner*inneninitiative „Teltower Vorstadt“ hat einen offenen Brief an die ProPotsdam geschickt, inzwischen gibt es eine weitere, quartierübergreifende Mieter*inneninitiative.
Die Anwohner*inneninitiative formuliert in ihrem offenen Brief unter anderem: „In Anbetracht der wohnpolitischen Entwicklungen in unserer Stadt, sowie der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, stellen Mieterhöhungen nur eine weitere existentielle Gefährdung für Mieter*innen dar.“

Wie aber haben Politik, Verwaltung und die ProPotsdam auf diese öffentliche Aufmerksamkeit und Kritik reagiert?

Zuerst: Es gibt bisher null Entgegenkommen, keine Rücknahme der Mieterhöhungen, kein Verständnis für die Mieter*innen, keine kritischen Analysen.

Wir haben dafür uns dafür mal die öffentlichen Stellungnahmen in den Lokalzeitungen und in der Stadtverordnetenversammlung angeschaut. Immerhin sind sie dazu gezwungen worden. Die erste Antwort, die immer wieder genannt wird ist trotz aller Wiederholungen und Erklärungen einfach falsch.

„Schubert stellte klar, dass diese Erhöhungen wegen steigender Betriebs- und Heizkosten, aber auch wegen der Zunahme von Bau- und Instandhaltungskosten erforderlich seien.“, heißt es in der PNN vom 4.11.2020 und: „Die Pro Potsdam begründet die Mieterhöhungen auf MAZ – Anfrage mit steigenden Kosten für Handwerksleistungen sowie verschiedene Betriebskostenarten, die „teilweise stärker als die allgemeine Inflation“ seien.“ in der MAZ vom 24.10.2020.

Die Erhöhung der Nettokaltmiete, wie sie die ProPotsdam vielen Mieter*innen angekündigt hat, hat aber gar nichts mit den Neben – oder Betriebskosten zu tun. Auf Twitter hat uns ProPotsdam – Geschäftsführer Herr Westphal erklärt: „Manchmal entsteht durch eine verkürzte Wiedergabe leider ein falscher Eindruck. Fakt ist: Unser OB hat klar differenziert zwischen Anpassungen aufgrund gestiegener Betriebskosten und den Anpassungen der Nettokaltmiete.“. Warum dann taucht genau diese Argumentation immer wieder auf – über Wochen in den Lokalzeitungen, bei Reden und Stellungnahmen der Verwaltung und des Oberbürgermeisters???
Leider ist die zweite Begründung nicht soviel besser.

Auch hier können wir einfach zitieren, erklären das aber mal:
„Westphal erinnerte daran, dass die Pro Potsdam in den kommenden Jahren auch hunderte neue barrierefreie Wohnungen bauen, Klimaschutzvorgaben erfüllen und weitere Leistungen für die Stadt erbringen müsse.“ und wieder einmal der Oberbürgermeister, der im Wahlkampf vehement für bezahlbaren Wohnraum eingetreten war: „Hinzu komme die Notwendigkeit von Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, in Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit – „Zielvorgaben, die wir mit den Stadtverordneten abgestimmt haben”. Wer notwendige Mietanpassungen ablehne, müsse auch „Nein” sagen „zur behutsamen Stadtentwicklung oder zur Erhöhung von Handwerkerlöhnen oder zur Unterstützung von Bürgerhäusern”. (Vergl.: MAZ 24.10.2020/ PNN 4.11.2020)
Im Grunde heißt dies alles: Ihr müsst die höheren Mieten zahlen, damit wir neu, sozial, nachhaltig bauen können. Was für eine krasse Information an die Bestandsmieter*innen. Und was für ein Vorwurf: Ihr verhindert mit euren Widerstand behutsame Stadtentwicklung und die Finanzierung von Bürgerhäusern.

Vielleicht kann mensch jetzt zum ersten Mal die Wut der Mieter*innen verstehen?
Die Stadt schiebt praktisch die Verantwortung für die Finanzierung von Stadt an die Mieter*innen der kommunalen Gesellschaft.

Es gibt noch mehr skurrile Reaktionen und Statement, allesamt entlarvend, wenn mensch sie in diesem Zusammenhang liest.

So rechtfertigt sich der Geschäftsführer der ProPotsdam Herr Westphal, bei Mieterhöhungen oft das Maximum herauszuholen mit diesem schönen Satz: „Wir reizen nicht das Maximum aus, wir passen den Mittelwert an.“ und verteidigt sich gegen den Vorwurf, „Preistreiber“ zu sein.

Dabei reicht zur Begründung einfache Mathematik. Wenn der Mietspiegel diese Mittelwerte in einem Quartier widerspiegelt und die ProPotsdam dann die Mieten erhöht, werden eben diese Erhöhungen in die Berechnung des neuen Mietspiegels einfließen. Auf dessen Grundlage wird dann die ProPotsdam wieder die Mieten erhöhen u.s.w.
Gleich mehrmals beklagt sich Westphal in dem Interview mit der MAZ vom 11.11.2020, dass die ProPotsdam ja keine Verkaufserlöse mehr erzielen dürfte: „Denn dann haben wir kein Eigenkapital, um sozialen Wohnungsbau zu betreiben. Wir brauchen die Überschüsse, die bei uns übrigens auch sehr gering ausfallen, seitdem wir keine Verkaufserlöse mehr haben.“
Da reicht ein Blick auf die Internetseiten der kommunalen Gesellschaft, um nachzuweisen, dass dies nicht stimmt: https://www.propotsdam.de/erwerben/verkaufsobjekte/ Im Gegenteil, seit Jahren fordern stadtpolitische Initiativen, dass die Stadt – auch über die ProPotsdam keine Flächen mehr veräußert und jedes Jahr wieder erfahren sie dann – natürlich verkauft sie weiter. Übrigens mit der gleichen Begründung wie bei den Mieterhöhungen: Sie brauchen die Mittel für Neubau und Sanierung anderswo.

Was in der ganzen Diskussion oft vergessen wird ist die Schuldenproblematik der ProPotsdam. Aktuell weist diese über eine halbe Milliarde Euro an Verbindlichkeiten aus: Konkret 541 Mio. €. Quelle: https://www.northdata.de/ProPotsdam+GmbH,+Potsdam/HRB+1294
Diese Schulden entstanden übrigens, als die Stadt Potsdam die städtische Gesellschaft GEWOBA in die neue ProPotsdam integrierte und deren Schulden (1999/ 2000: 444 Mio. €) gleich mit. Potsdam hat sich damals damit praktisch entschuldet und gleichzeitig auf Jahrzehnte abhängig von einer positiven Bilanz der eigenen Gesellschaft gemacht – welche diese bis heute mit Verkäufen und Mieterhöhungen erreicht – um die Schulden zu tilgen.

Doch zurück in die Teltower Vorstadt und den geplanten IT – Campus auf dem ehemaligen RAW Gelände. Seit Bekanntwerden der Großinvestition formulieren Anwohner*innen ihre Sorgen um Mieterhöhungen und Verdrängung. Sie haben dies lautstark auf Anwohner*innenversammlungen gesagt, sie haben Dutzende Einwendungen formuliert, sie fordern seit nunmehr 2 Jahren eine „Soziale Erhaltungssatzung“ für das Quartier, sie haben bei fast jeder Stadtverordnetenversammlung gesprochen, offene Briefe geschrieben und eine eigene Bürger*inneninitiative gegründet.

Das Ergebnis: Nichts.

In der Stadtverordnetenversammlung am 4. November 2020 wurde „der Zwischenabwägung nach allen öffentlichen und privaten Bedenken zum Projekt, die baulichen Entwürfe und die Auslegung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans samt Durchführungsvertrag mit dem Investor zugestimmt.“ (Vergl.: MAZ vom 4.11.2020) Nur: Alle sozialen und infrastrukturellen Bedenken und Einwendungen der Anwohner*innen wurden hier NICHT berücksichtigt.
In der gleichen Stadtverordnetenversammlung wurde der Mai 2021 als nun inzwischen 4. Termin! für die Vorlage einer „Sozialen Erhaltungssatzung“ genannt. Viermal wurde das inzwischen verschoben, während die Bau – und Stadtentwicklungsverwaltung die Anträge des Investors im beschleunigten Verfahren und als „Prioritäres Vorhaben“ (vor Schul – und Sportneubauten!) Vergl.: https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Personalmangel-im-Potsdamer-Bauamt-Grossprojekte-muessen-warten bearbeitet wurde.

Auch hier lohnt ein Vergleich der Begründungen für diese Verzögerungen mit der Eile bei der Bearbeitung der Bauanträge des Investors für das RAW – Gelände durch das zuständige Bauamt.
Bei der Erarbeitung der „Sozialen Erhaltungssatzung“ wird als Begründung darauf verwiesen, dass mehr Zeit gebraucht werde, „um eine soziale Erhaltungssatzung gerichtsfest zu machen“ (Beigeordnete Frau Meier in der SVV) Gleichzeitig „kann der Investor The RAW Potsdam GmbH auf eine vorzeitige Baugenehmigung rechnen und noch mit dem Bau beginnen, bevor im Frühjahr der Satzungsbeschluss des Bebauungsplans erfolgt.“ (Vergl.: MAZ 4.11.2020) – also bevor eine rechtssichere Baugenehmigung vorliegt. Das sind die unterschiedliche Maßstäbe, die in Potsdam bei Interessen von Investoren und Sorgen der Bürger*innen angelegt werden.

Für den rhetorischen und moralischen Höhepunkt hat schließlich die Abgeordnete Frau Babette Reimers (SPD) mit ihrer Sicht auf das RAW Projekt gesorgt: „Hier ist eine Brache, deshalb wird dort nichts verdrängt“, sagte sie. (Vergl.: PNN vom 5.11.2020) und: „Die Verdrängung der Mieterschaft in der Umgebung nannte sie spekulativ.“ (Vergl.: MAZ vom 4.11.2020)

In welcher Stadt, in welcher sozialen Umgebung lebt diese Frau eigentlich?

Allein diese Äußerungen zeugen von einer unbeschreiblichen Ignoranz gegenüber den Menschen in dieser Stadt!
Da formulieren Anwohner*innen und Initiativen seit Jahren ihre Fragen und Sorgen vor den Folgen eines solchen Megaprojektes auf dem RAW – Gelände, suchen das Gespräch, machen Einwendungen, mahnen, recherchieren und nichts wird wirklich ernst genommen. Dann passiert genau das, wovor sie immer wieder gewarnt haben – die Mieten werden massiv erhöht und zwar ausgerechnet und zuerst durch die kommunale ProPotsdam. Und die einzige Reaktion sind Rechtfertigungen und eine Aussage, Sorgen vor Verdrängung seien reine Spekulation.

Was für eine Ignoranz!
Lasst daraus Wut werden!

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2 Kommentare

  1. Mietpreisgebundener Wohnraum geht in die Berechnung des Mietspiegels übrigens nicht ein.
    Solche Wohnungen sind natürlich notwendig. Für Leute die keinen Anspruch auf solch eine Wohnung haben, hat das allerdings keinen dämpfenden Effekt auf die Mieten.

  2. Der Artikel beschreibt sehr gut, was bei mir als Rechtsberaterin des Mietervereins Potsdam auf den Schreibtisch landet. Diese Mieterhöhungen sind die Aufkündigung eines sozialen Zusammenhalts. Es ist kaum fassbar, das während der Corona-Pandemie ohne jede Rücksicht die Mieten erhöht werden. Damit es im nächsten Jahr nicht noch krasser wird, möchte ich alle MieterInnen bitten die Petition des Mieterbundes Land Brandenburg zu unterstützen.

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