Rechtes Symbol unter Denkmalschutz

Neues Gutachten und Fachaufsichtsbeschwerde zum Potsdamer Glockenspiel

Vortragsfolie zum Spendenaufkommen für das Glockenspiel

Heute stellten Prof. Phillip Oswalt und Carsten Linke in einer Pressekonferenz am alternativen Lernort-Garnisonkirche im Rechenzentrum das neue Gutachten zum Potsdamer Glockenspiel vor. Gleichzeitig erläuterte Herr Oswalt, der gemeinsam mit dem Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Micha Brumlik eine Fachaufsichtsbeschwerde bei der Kulturministerin gegenüber dem Landesdenkmalamt eingereicht hat, die Beweggründe für dieses Verfahren.

Wir dokumentieren die Pressemitteilung:

Die Form der kürzlich erfolgten denkmalpflegerischen Unterschutzstellung des Glockenspiels auf der Plantage ist ein weiterer Schritt eines seit 30 Jahren fortgesetzten kollektiven Versagens der Potsdamer (Stadt-)Gesellschaft bei der notwendigen Abgrenzung von extremistischen Kräften am rechten Rand. Das Objekt ist nicht nur das erste unter Schutz gestellte Objekt der „Neuen Rechten“, es ist auch Symbol des „Potsdamer Handschlags“, des Schulterschlusses von erheblichen Teilen der Gesellschaft mit Gruppierungen am rechten Rand.

Das neue Gutachten des Lernorts belegt auf Basis einer mehrjährigen Recherche, dass dieses „Potsdamer Wahrzeichen“ nicht – wie gerne behauptet – Beispiel für ein westdeutsches Engagement aus der Mitte der Gesellschaft für die Wiedervereinigung ist, sondern sich im Wesentlichen der Unterstützung von Wehrmachtsveteranen und ihren rechtsgerichteten Sympathisanten verdankt. Diese gaben mit dem Glockenspiel ihrer revisionistischen, das NS-Regime verharmlosende und unsere Demokratie diskreditierende Haltung dauerhaften Ausdruck. Zu den Unterstützern gehörten ein Dutzend Veteranenverbände, monarchistische Vereine und evangelikale Gruppen, welche ein Deutschland in den Grenzen von 1937 forderten, die Kolonialkriege und den rechtsradikalen Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten verherrlichten, die deutsche Kriegsschuld und die Verbrechen der Wehrmacht leugneten, ausländerfeindliche Hetze betrieben und sich auch zuweilen homophob äußerten.

Viele Personen und Institutionen der Neuen Rechten spielten hierbei eine Rolle, ob als Ideengeber, Unterstützer oder Befürworter. Hierzu gehörten etwa Hellmut Diwald, Albrecht Jebens, Reinhard Uhle-Wettler, Karl Feldmeyer, Alexander Gauland und Menno Aden, das Studienzentrum Weikersheim, die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft und die Zeitschrift Junge Freiheit.

Doch nicht als Mahnmal bezüglich solcher Positionen wurde das Objekt unter Schutz gestellt. Die Begriff Neue Rechte, Revisionismus oder Rechtsextremismus kommen weder in der Denkmalbegründung noch in dem ihm vorausgehenden Gutachten des ZZF vor. Nachweislich falsch wird stattdessen behauptet, die Initiative sei beispielhaft für breit in der Gesellschaft verwurzelte „Bestrebungen in den westlichen Bundesländern vor der Wende, Wiederaufbauprojekte in der DDR anzustoßen und zu unterstützen“. Dem politischen Mahnmal wird zudem eine städtebauliche Relevanz und eine Hochwertigkeit als Musikinstrument angedichtet, die es nachweislich nicht hat.

Gegen diesen haltlos beschönigenden und politisch unverantwortlichem Akt haben der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Micha Brumlik und der Architekt Prof. Philipp Oswalt bei der Kulturministerin des Landes Brandenburg Dr. Manja Schüle eine Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt.

Auch der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sieht bei dem Potsdamer Glockenspiel das Problem der Öffnung, jedenfalls mangelnden Abgrenzung konservativer Positionen zu antidemokratischen Positionen der Neuen Rechten. Diese schafft eine Grauzone zwischen originär konservativen und revisionistisch-rechten Positionen. Leggewie plädiert für eine Stärkung des Konservativismus und appelliert: „Konservative achtet darauf, mit wem ihr Euch zusammen tut!“. Bei dem Glockenspiel sei eine unmissverständliche Grenzziehung bislang ausgebleiben.

Eine besondere Verantwortung für das gesellschaftliche Versagen sieht Prof. Philipp Oswalt bei den Trägern und Unterstützern des Wiederaufbauprojekts der Garnisonkirche. Die Fördergesellschaft betrieb dreizehn Jahre das Glockenspiel und warb mit ihm für ihre Ziele, zahlreiche Mitglieder waren jahrelang auch Unterstützer und Mitstreiters des Initiators des Glockenspiels, dem später offenkundig rechtsextremistischen Ex-Bundeswehroffizier Max Klaar. Sie sahen in ihm und seinem Glockenspiel das Initial für das Wiederaufbauprojekt. Aber auch führende Personen aus Politik und Kirche wie Jörn Schönbohm und Erwin Motzkus (beide CDU), Manfred Stolpe und Horst Gramlich (beide SPD), Propst Klaus-Günter Müller, Generalsuperintendenten Günter Bransch und Heilgard Asmus unterstützen Klaar und die Traditionsgemeinschaft über mehr als ein Jahrzehnt, obwohl bereits von Anfang an die grundlegende Problematik bekannt war. Die Unterstützung von etablierter Seite hat zum Einsickern der geschichtsrevisionistischen Positionen der Neuen Rechte bis tief in die Gesellschaft geführt, die nur mit einer klaren Zäsur begegnet werden kann, zu der auch die Distanzierung vom Ruf aus Potsdam von 2004 gehören muss.

Gerd Bauz, Carsten Linke, Prof. Philipp Oswalt

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Downloads:

Die Fachaufsichtsbeschwerde an Kulturministerin Dr. Manja Schüle

http://lernort-garnisonkirche.de/wp-content/uploads/2021/09/Fachaufsichtsbeschwerde_Glockenspiel.pdf

Das Gutachten „Rechtsradikale Einschreibungen: Das Glockenspiel der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel 1984 – 1991“

http://lernort-garnisonkirche.de/wp-content/uploads/2021/09/2021-09-Oswalt_Glockenspiel_Akteure-Inschriften_screen.pdf

Weitere Presseinfos:

Herr Prof. Dr. Claus Leggewie steht für Presserückfragen zum Thema zur Verfügung.

Kontakt: Claus.Leggewie@zmi.uni-giessen.de

Wir möchte an unsere Veranstaltung erinnern: „Gott mit uns“. Das schwierige Erbe des Nationalprotestantismus u.a. mit Tillmann Bendikowski, Micha Brumlik, Eckart Conze, Hajo Funke, Wolfgang Huber, Karsten Krampitz, Annette Leo, Dagmar Pöpping. 1. & 2. Oktober 2021 im Dietrich Bonhoeffer Haus in Berlin-Mitte sowie online im life-stream; Zoom-Meeting-ID: 964 1082 4276

Weiter Infos: http://lernort-garnisonkirche.de/?p=1514

Der Lernort Garnisonkirche informiert auf seiner Website und in einer vor Ort in Potsdam umfassend zur Thematik: www.lernort-garnisonkirche.de

Lernort Garnisonkirche im Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum
Dortustraße 46, 14467 Potsdam
Geöffnet Montag bis Freitag von 8:00 bis 20:00 Uhr

Der Lernort Garnisonkirche ist ein Projekt der Martin-Niemöller-Stiftung e.V. in Kooperation mit Universität Kassel (Fachgebiet Architekturtheorie und Entwerfen/ Prof. Philipp Oswalt) und Potsdamer Initiativen.

info@lernort-garnisonkirche.de

Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Micha Brumlik, Prof. Dr. Michael Daxner, Prof. Dr. Gabriele Dolff-Bonekämper, Prof. Dr. Geoff Eley, Prof. Dr. Manfred Gailus, Dr. Matthias Grünzig , Prof. Dr. Susannah Heschel, Prof. Dr. Horst Junginger, Dr. Linda von Keyserlingk-Rehbein, Dr. Annette Leo, Prof. Dr. Andreas Pangritz, Dr. Agnieszka Pufelska, Prof. Dr. Wolfram Wette

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