Keine Balkonmusik mehr …

Soziale Verdrängung in der Teltower Vorstadt – oder:

Wie Balkonmusik, WG`s, Rechtsanwälte und norwegische Aktiengesellschaften zusammenpassen

Inmitten der einsamsten Zeiten im Coronalockdown blickte (fast) ganz Potsdam sehnsüchtig und etwas neidisch auf die Schlaatzstraße in der Teltower Vorstadt. Dort spielten jede Woche Menschen aus verschiedenen Häusern die schnell berühmt gewordene Balkonmusik. Auch nach dem Lockdown waren die musikalischen und solidarischen Menschen im Kiez Symbol für eine gewachsene Bewohner*innenstruktur – bei Straßenfesten, Geburtstagen und zu vielen anderen Anlässen.

Das gibt es nicht mehr.

Die Balkonmusik spielt nicht mehr, die Menschen aus den Wohnungen mussten aus ihren Häusern ausziehen und leben heute verstreut irgendwo in Potsdam.

Einige von ihnen haben sich an uns gewandt und ihre Geschichten erzählt.
Sie handeln von vorgeblich sozialen Vermieter*innen, von seltsamen Eigentümerwechseln, Aufhebungsverträgen und dem Frust, aus ihrem Kiez verdrängt worden zu sein.

Über 10 Jahre war es gängige Praxis in den Wohngemeinschaften, Ergänzungsvereinbarungen zu unterschreiben, so dass man mit dem gleichen Vertrag einfach jemanden Neues in die Gemeinschaft aufnehmen konnte. „Seit einiger Zeit hieß es aber bei einem solchen gewünschten Wechsel eines Mitbewohners, dass dies eine Vertragskündigung darstelle, man die Wohnung sofort verlassen könne oder einen Aufhebungsvertrag unterschreiben könne und dann noch zwei bzw. drei Jahre im Haus wohnen dürfe. Wir taten dies, da wir Angst vor einem Rechtsstreit hatten und uns eingeschüchtert fühlten. Unser Vermieter hat uns auch mehrfach darauf hingewiesen, dass eine „unerlaubte Gebrauchsüberlassung an Dritte“ ein sofortiger Kündigungsgrund sei“, erzählen uns die Bewohner*innen der Wohngemeinschaften.

„Freiwillig hat wohl niemand diese Vereinbarung unterschrieben. Die erste WG musste zum 1. Juni oder 1. Juli raus, die Nächste dann zum 1. September, eine weitere WG unten musste das Haus bis zu 1. Oktober verlassen. Die letzte WG hat einen Aufschub bekommen, muss aber auch noch dieses Jahr raus.“ schrieben sie uns aus der Schlaatzstraße 7.

Da im Haus seit Anfang des Jahres eine weitere Wohnung leer steht, aus der eine Familie ausgezogen ist wird es fünf leerstehende Wohnungen im Haus geben. Das ist ganz gut an den Klingelschildern ablesbar – es gibt leere Schilder, Platzhalter und manchmal noch die Namen der WG` s, die längst ausziehen mussten.
„Darüber, was mit den Wohnungen passieren soll, erzählen die Eigentümer nichts konkretes. Zu uns hieß es mündlich, die Wohnung sei familienintern verplant. Bei der anderen WG hieß es, dass der Sohn einziehen würde, bei der Übergabe wusste der Sohn auf Nachfrage aber nichts davon. Der Hausmeister äußerte mir gegenüber mal die Vermutung, dass die Wohnungen alle saniert werden würden und dann verkauft werden sollen.“ – so die ehemaliger Bewohner*innen der Schlaatzstraße 7.

Aber wer sind denn die Eigentümer und Vermieter*innen, die mit solchen Mitteln junge Menschen aus dem Kiez drängen?

Aktuell wird in den Verträgen und Unterlagen die von Kenne und Dietrich GbR als Verwalter oder Vermieter angegeben. Die beiden hier genannten Personen sind in Potsdam und Berlin nicht ganz unbekannt.

Dr. Cornelius von Kenne promovierte auf dem Gebiet des internationalen Rechts. Schwerpunkte seiner Tätigkeit liegen auf dem Gebiet des Unternehmens- und Wirtschaftsrechts und des privaten Baurechts. Dr. von Kenne ist Autor zahlreicher Gutachten zum Internationalen Privatrecht. Ferner veröffentlichte er Publikationen zum europäischen Gesellschaftsrecht und zum Franchiserecht.
Er war richtig berühmt: Ulrich von Kenne hatte ab 2003 die Leitung des Geschäftsbereiches „Wettbewerbspolitik, Bankenaufsicht“ im Bundesverband Deutscher Banken, war Ministerialrat im Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt und war zuvor im Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen tätig.

Prof. Dr. Stephan Dietrich ist als Juraprofessor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin tätig und arbeitet als Wirtschaftsmediator. Er hat viel zum Vertragsrecht und GmbH – Recht publiziert.
Die Bewohner*innen beschreiben ihn als denjenigen, der sich in der Schlaatzstraße 7 um alles kümmert, ganz oft vor Ort ist und viel kommuniziert – manchmal auch Mahnungen und Probleme. „Mir kam es manchmal so vor, als ob er sich einfach zum Spaß um das Haus kümmerte und uns als Spielbälle oder soziales Experiment nutzen wollte.“, schreibt uns ein Bewohner.

Gemeinsam mit Partner*innen betreiben sie gleichzeitig eine Rechtsanwaltskanzlei – von Kenne Partnerschaften – in Potsdam und in Berlin. Auf der Seite der Kanzlei http://www.vonkenne.com/index2.html sind weitere wichtige Akteure aufgeführt, die offensichtlich auch im Immobiliengeschäft tätig sind.
Zu nennen ist hier zuerst Frau Dr. Nadja Dietrich, beruflich als Wirtschaftsmediatorin tätig, deren Referenzen hier unter anderem mit „… mehrjähriger Erfahrungen als Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens.“ angegeben sind. Gemeint ist die Nobel Grundinvest GmbH, den Namen sollten wir uns merken, wenn wir nach den Eigentümern und wirtschaftlich Berechtigten der Häuser in der Schlaatzstraße suchen.
Außerdem taucht hier zum ersten Mal Volker Liebig auf, dem nach Aussagen der Bewohner*innen auch Wohnungen in der Schlaatzstraße 6 gehören. Mit Volker Liebig aber können wir die Geschichte der vielen Eigentümerwechsel des Hauses beginnen – zu mindestens die, welche wir recherchieren können.

Ganz offensichtlich verwaltete das Haus bis 2012 eine ViaVilla Grundbesitz GmbH. Die gibt es heute nicht mehr, nach den von uns recherchierten Dokumente ist sie 2014 aufgelöst worden. Heute heißt sie „ganz anders“: viavilla Immobilien GmbH. Auf ihrer Seite http://www.vivavilla.de/ stehen Objekte in Brandenburg/ H., in Berlin, in Frankfurt/ O. und natürlich in Potsdam.

Die Kontaktadresse der Gesellschaft war und ist bis heute die Ribbeckstraße 10 in Bornstedt. Dort ist ebenfalls bis heute eine Ribbeck10 Grundbesitzverwaltung OHG ansässig, die eben bis August 2012 das Haus in der Schlaatzstraße 7 verwaltete. Vor Ort weist nur noch wenig auf diese Zusammenhänge hin. An einem Klingelschild steht schlicht „Rechtsanwälte“.
Gesellschafter waren damals Claudia Grosse Wiesmann und Manuela Liebig. Volker Liebig ist wohl ihr Ehemann und Partner in der gemeinsamen Anwaltskanzlei von Kenne Partnerschaft mit Kanzleien in Berlin und Potsdam. Deren neue Adresse ist ganz unscheinbar in der Hebbelstraße 12 in Potsdam. Hier stehen die von Kenne Partnerschaften, Frau Dr. Kowalski – auf die wir unten noch einmal zu sprechen kommen und gut zusammengefasst „von Kenne Gbr`s“ – das sind wohl die Eigentümergemeinschaften verschiedener Häuser.

Josef Grosse Wiesmann wiederum steht bis heute als Geschäftsführer und Inhaber der viavilla Immobilien GmbH in den uns vorliegenden Dokumenten. Auf deren Seite stehen bis heute weitere Objekte in Potsdam: Neben dem schon bekannten Haus in der Ribbeckstraße 10 gehört dazu auch ein Haus in der F. Ebertstraße 33 und das Haus in der Schlaatzstraße 6 – also dem Nachbarhaus der Nummer 7. Mieter*innen bestätigen dies und kennen Volker Liebig. Das Wohn – und Geschäftshaus in der F. Ebertstraße 33 weist an Hand der Klingelschilder und der abmontierten Firmennamen – wir kennen das schon – eine Menge Leerstand auf.

Zu den von von der viavilla Immobilien GmbH verwalteten Häusern gehören auch Häuser in der Gubener Straße 10 – 12 in Frankfurt/ O. Beim Blick auf die Webseite und die schönen Bürgerhäuser – so wie in der Schlaatzstraße in Potsdam – fügt sich langsam ein Bild zusammen. Als Gesellschafter kommen hier wieder alle zusammen, die wir schon kennen: Dr. Stephan Dietrich, Joseph Grosse Wiesmann, Volker Liebig und Dr. Cornelius von Kennehttp://gubener10.de/index.html

Aber es wird noch viel interessanter.
Denn der Name des Unternehmens, welche diese Häuser verwaltet ist die NGI Nobel Grundinvest GbR und als verantwortliche „Redakteurin“ ist Nadja Dietrich aufgeführt. Und da müssen wir uns an das oben ausgeführte erinnern. Nadja Dietrich ist Geschäftsführerin der Nobel Grundinvest GmbH. Deren Sitz war lange in Berlin in der Katharinenstraße 8. Gleichzeitig war dies die Adresse des Berliner Standorts der Rechtsanwaltskanzlei von Kenne Partnerschaft. Dort finden wir dann auch viele andere „gute Bekannte“ wieder. Nadja Dietrich fungiert als „Wirtschaftsmediatorin“, Dr. Stefan Dietrich als „Wissenschaftlicher Berater“. Inzwischen – so zeigen uns die vorliegenden Unterlagen – ist man gemeinsam umgezogen: In der Hammersteinstraße 1 in Berlin haben sie ihre neuen Adressen: Nobel Grundinvest, aber auch die von Kenne und Dietrich GbR.
Die Nobel Grundinvest GmbH ist im Transparenzregister, bei Firmenwissen oder Companyhouse ausführlich ausgewiesen, da konnten wir alle wichtigen Dokumente einsehen.
Und – siehe da – jetzt wird es international. Die Hauptgesellschafter und wirtschaftlich Berechtigen sind seit 2007 norwegische Immobilienfonds und Aktiengesellschaften! Bereits 2007 wurden die Geschäftsanteile zu 100 % an die Berlin Holding AS abgetreten. Deren Hauptgesellschafter und Besitzer wiederum ist in Norwegen eine bekannte und schillernde Persönlichkeit: Der Geschäftsmann und Politiker Theodor Harald Hanisch. Selbst Wikipedia führt ihn als Staatssekretär beim Premierminister, Arbeitsdirektor und zurückgetreten wegen Betrugsvorwürfen. Er ist laut norwegischen Handelsregister Inhaber und Anteilseigner von mehreren Aktiengesellschaften – darunter der Berlin Holding AS und der Hanisch Property VII AS, die seit dem 29.11.2017 100 % des Stammkapitals der Nobel Grundinvest GmbH hält. Unterschrieben sind diese Eintragungen wiederum von der Geschäftsführerin der Nobel Grundinvest GmbH – Nadja Dietrich.
Um alle die genannten Verbindungen rund zu machen: Noch am 12. Oktober 2021 antwortet Stephan Dietrich auf eine Mail eines ehemaligen Mieters der Schlaatzstraße 7 mit der Mailadresse: NGI GmbH dietrich@nobel-grundinvest.de.

Damit schließt sich der Kreis.

Das der Notar, Herr Walter Mrozek, der das alles regelmäßig beglaubigt auch als Kooperationspartner der von Kenne Partnerschaft aufgeführt wird ist ebenso ein kleiner, logischer Zusatz wie das Kooperationsbüro in Oslo: Hanisch – Kopstad og Pallum.

Wir wollen am Ende noch einmal die (ehemaligen) Mieter*innen und Musiker*innen zu Wort kommen lassen.
So berichten sie uns: „Eine Wohnung vermietet Herr Prof. Dr. Stephan Dietrich an Nadja Dietrich, welche die Wohnung befristet, möbliert und, soweit ich weiß, auch über dem Mietspiegel an zwei Studierende untervermietet.“
Und: „Die eine WG, die auch raus musste, durfte nun in eine andere leerstehende Wohnung im Haus. Der Mietvertrag ist natürlich nur auf zwei Jahre befristet. Vermieter ist wohl Herr von Kenne und die Frau, die die Wohnung weitervermietet heißt Frau Kowalski.“ – ja, wir kennen Frau Kowalski. Sie steht als Rechtsanwältin und Kooperationspartnerin Frau Dr. Kathrin Kowalski auf der Webseite von von Kenne Partnerschaften.
Was (ehemalige) Mieter*innen ganz deutlich machen: Es gibt eigentlich fast nur noch befristete und Untermietverträge. Als Hauptmieter stehen jetzt plötzlich Nadja Dietrich, Kathrin Kowalski oder Volker Liebig in den Verträgen. Befristete Mietverträge sind aber eigentlich nur dann rechtsgültig, wenn diese Gründe klar benannt sind: geplanter Abriss des Hauses, grundlegende Sanierung oder Eigenbedarf in ein paar Jahren. Da bleibt nur ein Grund übrig. Es scheint also, dass die Rechtsanwälte, Wirtschaftsmediatoren und Professoren auf Eigenbedarf setzen, dies aber nicht angeben und die Häuser – mindestens in der Schlaatzstraße 6 und 7 – nach und nach entmieten und dann anders verwerten wollen.

Noch gibt es das Creativ Village auf dem ehemaligen RAW Gelände nicht – aber die Verdrängung aus dem Kiez ist bereits mehr als real. Nicht nur große Immobilienunternehmen, sondern eben auch die „kleinen“ angeblich sozialen Vermieter*innen bringen sich längst in Position für den großen Gewinn – selbst, wenn man den dann mit norwegischen Geschäftsleuten teilen muss.

Balkonmusik aber gibt es heute nicht mehr.

Hier veröffentlichen wir einige der uns vorliegenden Unterlagen:

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