Filterblasen

Wir dokumentieren: Rede bei der Kundgebung zum 2. Jahrestag der Besetzung des Hauses in der Feuerbachstraße 36 in Potsdam:

Kritische Stadtpolitik in Potsdam fühlt sich schon seit Jahren so an, als wenn die Stadtgesellschaft auf der einen sowie Politik und Verwaltung auf der anderen Seite in völlig verschiedenen Welten leben.

In der digitalen Sprache nennt man das wohl Filterblasen.

Filterblasen zeichnen sich dadurch aus, dass einem ein entsprechender Algorithmus die eigene Sicht immer wieder neu bestätigt und nur Positionen wiedergibt, die ähnlich der eigenen sind.

Im Grunde stehen wir hier vor so einer Filterblase. Vor zwei Jahren haben Aktivist*innen dieses leerstehende Haus besetzt und damit auf Leerstand, Spekulation, steigende Mieten und eine Politik verwiesen, die nichts dagegen tut.

Heute stehen wir hier vor dem leerstehenden Haus und verweisen auf Leerstand, Spekulation, steigende Mieten und eine Politik, die noch immer nichts dagegen tut.

Und wenn morgen beim OB, im Rathaus, in den Fraktionen von SPD bis Grüne, in der Bauverwaltung diese Kundgebung kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen wird, dann werden sie wie vor zwei Jahren, wie vor 5 oder 10 Jahren auf die Erkenntnisse aus ihrer Filterblase verweisen: Auf ein nutzloses „Bündnis für Wohnen“, auf die tolle kommunale Gesellschaft ProPotsdam, auf Baulandmodelle und Zweckentfremdungsverordnungen. Und vor allem darauf, dass man ja nichts tun könnte, weil das alles Gesetze des Bundes und der Länder wären.

Seit so vielen Jahren machen wir mit unterschiedlichen Aktionsformen auf den Mietenwahnsinn und die Verdrängung in dieser Stadt aufmerksam und ernten – nichts als Ignoranz und und Kopfschütteln. Wir verweisen auf Instrumente einer anderen Mietenpolitik in vielen anderen Städten, um uns von Schubert, Westphal, Heuer, Hünecke und co. anhören zu müssen, dass das in Potsdam alles ganz anders und nicht so möglich ist – Filterblasen eben.

Ich will Euch nicht mit den vielen, zum Teil ja bekannten Beispielen nerven. Aber ein paar sind doch so skurril und aktuell, dass es sich lohnt, sie hier noch mal zum Besten geben.

Während anderswo die Deutsche Wohnen enteignet werden soll, ist sie in Potsdam willkommener Partner der Stadtpolitik. Still und heimlich und mit Unterstützung der Verwaltung haben sich Vonovia und die Deutsche Wohnen bereits jetzt rund 5.000 Wohnungen in der Stadt angeeignet. Klar, dass man in Potsdam einem solch guten Partner vertraut. So sehr, dass es der Stadt vollkommen reichte, für die künftigen Mieten der geplanten Wohnungen in Krampnitz eine mündliche Zusage der Deutschen Wohnen zu bekommen: 8,50 € so das Versprechen beim Kauf. Jetzt wurde klar: Das ist nicht zu halten, 14 – 15 €/ m² werden es mindestens. In was für einer Blase muss man leben, um mündlichen Versprechungen von Immobilienkonzernen zu glauben?

Nur ganz im Kleinen und heimlich wird in Potsdam inzwischen auch über Erbbaurechtsvergaben diskutiert. Während eine Menge anderer Kommunen längst dazu übergegangen sind, kein kommunales Eigentum mehr zu verkaufen, selbst München seit 2017 nur noch nach Erbbaurecht vergibt, schreibt Saskia Hünecke aus der ganz besonderen Grünen – Blubberblase in Potsdam dazu: „Die fachlichen Voten … zeigen deutlich, dass das Erbbaurecht gegenwärtig nicht geeignet ist, bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten, offenbar auch nicht mit einem willkürlich extrem niedrig festgesetzten Erbbauzins.“ Was für ein Armutszeugnis. Immerhin sagt selbst die eigene Bundestagsfraktion: „Das Erbbaurecht ist ein Schlüssel für eine grüne und gemeinwohlorientierte Bodenpolitik. Es bietet nach unserer Einschätzung zahlreiche Möglichkeiten, um bezahlbaren Wohnraum und andere am Gemeinwohl orientierte Nutzungen in den Städten zu sichern, aber auch neu zu schaffen.“ – aus der eigenen Blase in Potsdam ist das wohl nicht zu Saskia vorgedrungen.

Inzwischen läuft ja ein Bürgerbegehren für einen Mietendeckel für die kommunale Gesellschaft ProPotsdam. Die hat sich das in den letzten Jahren redlich verdient, immerhin hat sie selbst in Coronazeiten die Mieten bis an die Grenzen des rechtlich Möglichen erhöht, ist sie führend beteiligt beim barocken Stadtumbau in Potsdams Mitte, gerade wieder mit bestellten Gutachten zum Abriss des Staudenhofs. Seit bekannt werden des Bürgerbegehrens aber schäumt die Potsdamer Filterblase. Obwohl längst bekannt ist, dass in Berlin ein Mietendeckel für die landeseigenen Wohnungsgesellschaften beschlossen wurde und funktioniert, werden in Potsdam Weltuntergangsszenarien produziert. Wahlweise geht die ProPotsdam oder gleich die ganze Stadt Pleite, können keine neuen Wohnungen mehr gebaut werden, kann der – sowieso nur symbolische – Klimaschutz in Potsdam nicht mehr finanziert werden. Mitarbeiter*innen der ProPotsdam kommen an die Unterschriftenstände und erzählen ernsthaft, in der Filterblase der ProPotsdam würde die Angst vor massenhaften Kündigungen wegen des Bürgerbegehrens umgehen.

Es ist manchmal bitter.
Es macht wütend.
Es radikalisiert.

Eigentlich solltet ihr Euch wundern, dass in dieser Stadt nicht jede Woche ein Haus besetzt wird. Die Balkonmusiker aus der Teltower Vorstadt – verdrängt und rausgeschmissen. Der Milieuschutz – zum 4. Mal verschoben auf Sommer 2022.

Die vielen Hausprojektinitiativen wie für die Lennèstraße oder Wollestraße – gescheitert und aufgegeben. Die Erkenntnisse aus 4 Jahren Forschungsprojekt „Gemeinschaftliches Wohnen“ mit der sogenannten Laborstadt Potsdam – in den Schubladen verschwunden.

Charlottenstraße 12, Potsdamer Straße, Goethestraße – alle die Häuser stehen noch immer leer. Genauso wie die überteuerten möblierten Mikroappartements von „Studio Living“ in Bornstedt oder beim Filmpark Babelsberg.

Und dann kommen sie tatsächlich mit einem „Potsdambonus“ als Lösung um die Ecke. Da hat ihnen ihre Filterblase wohl mal Konzepte aus China vorgeschlagen. Social credit heißt das dort und verbindet digitales Punktesammeln mit einem Überwachungsstaat.

Und während wir weiter vergeblich Milieuschutzgebiete, Vorkaufsrechte, Wohnungen mit Mietpreis – und Belegungsbindung, Chancen für nichtkommerzielle Wohnprojekte und kulturelle Freiräume fordern, glaubt man in der politischen Filterblase Potsdam ernsthaft, man könnte mit Punkten für das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr das Mietenproblem lösen.

Und den Konflikt Garnisonkirche vs. Rechenzentrum wollen sie mit einer Rekonstruktion des Stadtkanals lösen.

Was für eine irre Stadt.

Was für eine Filterblase.

Zerstören wir sie!
Seien wir weiter widerständig, laut und vielfältig.
Seien wir kreativ und stören sie immer wieder in ihrer Filterblase – ob im Rathaus, in der Stadtverordnetenversammlung oder auf der Straße.

Markieren wir ihre schlimmen Investorenprojekte in der Speicherstadt, am Nuthewäldchen und anderswo.
Machen wir gemeinsam Druck auf die ProPotsdam mit einem erfolgreichen Bürgerbegehren.

Und natürlich sollten in dieser Stadt weiter Häuser besetzt werden.

Und wenn es dafür ist, ihre Filterblasen zu zerstören.

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