Staudenhof: „Hauptsache der barocke Wiederaufbau wird nicht gefährdet!“

Bevor bei der nächsten Stadtverordnetenversammlung auf Antrag der Linken zum wiederholten Male das Thema „Staudenhof“ auf der Tagesordnung steht, wollen wir hier alle interessierten Bürger*innen mit den nötigen Informationen versorgen und alle Dokumente veröffentlichen, die für eine Meinungsbildung wichtig sind.

Zu keinem anderen Objekt gibt es derart viele widersprüchliche Aussagen, grundverschiedene Gutachten und Zahlen. Hier wird seit Jahren öffentlich getrickst und bewusst anderslautende Aussagen und Fakten ignoriert.

Das konnte man gerade erst wieder beobachten, als die Chefin des zuständigen Sanierungsträgers Potsdam, Sigrun Rabbe, am Mittwochabend im Hauptausschuss über die Situation im Staudenhof berichtete. Dabei wurde verkündet, dass aktuell 177 der 182 Wohnungen dort vermietet seien. Formal ist das richtig, real ist noch nicht eine Wohnung mit ukrainischen Flüchtlingen belegt und auch nur eine Handvoll afghanische Ortskräfte jemals in Potsdam angekommen – geplant war die Belegung von 57 Wohnungen.

Vor gar nicht so langer Zeit hatte die ProPotsdam noch dargestellt, wie kaputt und unbewohnbar viele Wohnungen seien: „So sind manche Fenster zum Beispiel nicht nur undicht, sondern es gibt auch welche, die sich nach Öffnung gar nicht mehr schließen lassen. Insbesondere die Elektroanlagen im Haus müssten bei einer längeren Nutzung grundlegend überarbeitet werden. In manchen Wohnungen funktioniere die Elektrik gar nicht mehr“ zitierte die PNN am 4. April 2022.

Dies deckt sich mit den ausführlichen Begründungen der Kündigungen der verbliebenen Mieter*innen. Diese Kündigungen, datiert zum 29. März 2022 wurden im Auftrag der ProPotsdam durch ein renommiertes Anwaltsbüro von Kuhdamm in Berlin ausgestellt.

Wir dokumentieren hier eine Musterkündigung.

Das Gutachten schicken wir auf Anfrage gern zu, es liegt uns vor, hat aber eine überdimensionale Dateigröße.

Die Liste der begutachteten Mängel müsste den Verantwortlichen der ProPotsdam allerdings die Schamesröte ins Gesicht treiben – die Fenster müssen erneuert werden, die Aufzüge ertüchtigt, der Brandschutz ist unzureichend u.s.w.. Im Grunde bestätigt das Gutachten vor allem, dass der Eigentümer die ganzen letzten Jahre nichts, aber auch gar nichts an dem Gebäude gemacht hat. Das ist eigentlich das typische Vorgehen von Immobilienspekulanten: Die Gebäude verfallen lassen, dann sagen, eine Sanierung ist zu teuer, abreißen und neu bauen – mehr und mit ganz anderen Mieten.
Deshalb ist es auch logisch, dass die ProPotsdam den Weg einer Verwertungskündigung geht: Vorrang hat der Gewinn und die Verwertung des Eigentümers, nicht die sozialen Bedürfnisse der Mieter*innen.

Das eine sicher nicht ganz billige Anwaltskanzlei wie von „Trott zu Solz Lammeck“ diesen Auftrag der ProPotsdam erfüllt hat passt gut und hat längst Tradition. Auch ein Gutachten aus dem Jahr 2014 zum Staudenhof wurde von der bekannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG durchgeführt. Allerdings kam die damals seltsamerweise zu einem ganz anderen Ergebnis.

In dem Gutachten und der Kündigung von heute heißt es:

„… der Abriss des Gebäudes und ein anschließender Neubau stellen die einzig wirtschaftliche vertretbare Möglichkeit der Verwertung dar.“
Und: „Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses mit Ihnen würde die Eigentümerin an der beabsichtigten, angemessenen wirtschaftlich sinnvollen Verwertung des Grundstücks gehindert“

Durch diese Kündigungsschreiben wissen wir nun auch, warum die Stadtverwaltung die vielen Leerstandmeldungen nach Zweckentfremdungsverordnung nicht bearbeiten konnte. Sie musste eine umfangreiche „zweckentfremdungsrechtliche Abrissgenehmigung“ erarbeiten.

Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers KPMG aus dem Jahr 2014 kommt hingegen zu einem ganz anderem Schluss:

Die ProPotsdam hat dies in einem Schreiben vom 08.04.2014 an die Stadt klar formuliert:

„Eine ebenfalls vom Sanierungsträger Potsdam GmbH beauftragte Analyse der wirtschaftlichen Rahmendaten durch die KPMG kommt zu dem Ergebnis, dass eine Neubaumaßnahme auf dem Grundstück „Am Alten Markt 10“ im Jahr 2022 im Vergleich zu einer Bestandshaltung zu einem negativen Kapitalwert von 3,65 Mio. € führt. Das heißt, dass der Abriss wirtschaftlich unvorteilhaft ist. … Damit wäre eine Kündigung im Jahr 2022 noch bestehender Altmietverhältnisse rechtlich nicht möglich.“

Hier dokumentieren wir das Schreiben der ProPotsdam und die Mietteilungsvorlage an die Stadtverordnetenversammlung, welche zum gleichen Ergebnis kommt: „Ein Abriss des Altbestandes und anschließender Neubau ist damit unwirtschaftlich und würde zu Verlusten bei der ProPotsdam GmbH führen.“

SchreibenProPotsdam

Mitteilungsvorlage

Was nun hat sich in den letzten Jahren geändert, dass die Stadt und die ProPotsdam im Jahr 2021 diese Gutachten ignorierten und jetzt doch einen Abriss und Neubau favorisieren?

In einer sogenannten „Variantenbetrachtung“ der ProPotsdam wird ohne nähere Ausführung deutlich: Eine Sanierung würde rund 18 Mio. € kosten, ein Neubau fast 40 Mio. €. Die Darstellung der Wirtschaftlichkeitsberechnung enthält aber unter anderem eine Abrissförderung von über 2 Mio. € und eine Eigenkapitalquote von über 10 Mio. bei einem Neubau. Eine Sanierung plus Neubauten bzw. Aufbauten wurde nie in die Berechnung einbezogen.
Und klar ist auch, für einen Neubau müssen Bäume gefällt werden, muss eine neue, teure Tiefgarage errichtet werden.

Was sich aber seit 2014 geändert hat sind die Baukosten. Und aktuell steigen das erste Mal seit vielen Jahren auch wieder die Bauzinsen. Die Annahmen aus der Variantenbetrachtung zu den Naubaukosten dürften schon heute hinfällig sein.

Hier dokumentieren wir auch diesen (veralteten) Variantenvergleich.

Im Grunde bestätigen diese verschiedenen Gutachten und Vergleiche nur noch einmal, was viele Menschen in der Stadt längst geahnt haben.
Es geht nicht darum, die für die Stadt, die ProPotsdam finanziell und sozial beste Variante umzusetzen. Es geht einzig und allein darum, die barocke Mitte Potsdam endlich wieder vollständig aufzubauen. Dafür sind sie auch bereit, viel mehr Geld auszugeben, wirtschaftliche Verluste der ProPotsdam in Kauf zu nehmen und die Altmieter*innen mit allen rechtlich möglichen Mitteln rauszuwerfen.

Oder wie es Frau Rabbe vom Sanierungsträger im letzten Hauptausschuss formulierte:

„… der eng getaktete Zeitplanung zur Rekonstruktion der historischen Potsdamer Mitte (lasse) keine Verzögerung zu.“ (MAZ vom 28.04.2022)

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