Redebeitrag „Stadt für alle“ auf der GDL-Solidemo am 5.9.2021

Das Potsdamer Netzwerk „Stadt für alle“ will eine Öffentlichkeit für kritische, nachhaltige Stadtentwicklung schaffen und dafür einer engagierten Stadtbevölkerung eine Plattform bieten. Das Netzwerk hat dabei zwar einen Fokus auf Wohnungspolitik und gesellschaftliche Teilhabe an der Stadtgestaltung, der Streik der GDL ist für uns aber
trotzdem wichtig, gerade weil sich viele Forderungen der Bahnerinnen mit denen für eine „Stadt für alle“ überschneiden. Derzeit beteiligen wir uns in Potsdam bspw. an einem Bürgerbegehren für einen Mietendeckel, der im Kern die Entwicklung behandelt, dass die Mieten in Potsdam um ein Vielfaches schneller angestiegen sind und noch ansteigen, als die Reallöhne. Während letztere in den letzten 20 Jahren mehr oder weniger stagnierten oder sich im niedrigen einstelligen Bereich bewegten, sind die Mieten bei allen Wohnungstypen zwischen 10 und z.B. beim studentischen Wohnen bis zu 100% gestiegen. Im vielbeschworenen Neubau, der nahezu vollständig in den Händen privater Investoren liegt, werden inzwischen Mieten nicht mehr unter 10 €/qm verlangt – nach oben offen. Im Ergebnis konnten und können sich Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen oder Renten das Leben in Potsdam nicht mehr leisten und ihr Austausch zugunsten der Berliner-Speckgürtel- Klientel schreitet voran – begleitet von wiederkehrenden Demonstrationen, die sich durch ihre Bedeutungslosigkeit auszeichnen, während Immobilien-Investoren sich über saftige Gewinne freuen können.

Die Haltung der Deutschen Bahn AG, in einer solchen Situation Lohnsteigerungen unterhalb der Inflationsrate anzubieten (und die GDL ist der Bahn im Zuge der Tarifverhandlungen hier schon deutlich entgegengekommen) und gleichzeitig die Betriebsrente einzustampfen, die ja inzwischen offizielles Standbein der privaten Altersvorsorge ist: diese Position ist auch aus Mieterinnensicht eine
Provokation! Die streikenden Bahn-Beschäftigten kämpfen hier also nicht nur für ihre eigenen Interessen. Sie zeigen in einer Zeit, in der durch Privatisierung und angebliche Sparzwänge die untere Hälfte der Gesellschaft immer weiter von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt wird, eine Perspektive auf, wie sich Arbeiter:innen und auch
Mieterinnen gegen diese Sparpolitik mit und auch schon ohne Corona wehren können.

Mit einem Werkzeug übrigens, das im Kampf um bezahlbare Mieten noch völlig fehlt, denn die Möglichkeit legaler Mietstreiks anstelle individualisierter und meist aussichtsloser Rechtsstreits zwischen Immobilienbesitzenden und Mietenden wäre eine fundamentale Verbesserung unserer Position. Gegen den Berliner Mietendeckel haben CDU und FDP in Vertretung ihrer Lobby vorerst erfolgreich geklagt. Umso erfreulicher, dass die Deutsche Bahn AG mit dem Versuch, gegen ihre streikenden Mitarbeiterinnen vor Gericht zu ziehen, gescheitert ist. Während der Bahnvorstand und einige Medienvertreter*innen versuchen, den Zorn der Bevölkerung auf den Streik zu lenken, möchten wir deshalb hier
deutlich sagen:

Es liegt am Vorstand der Deutschen Bahn AG zu entscheiden,
wann sie gewillt ist, ernsthaft auf die Arbeitnehmerschaft
einzugehen. Die Deutsche Bahn AG ist kein Selbstzweck. Sie ist
ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und hat als
Bundesunternehmen die Verantwortung dafür, faire Löhne zu
bezahlen, die auch gewährleisten, dass ihre Beschäftigten – egal in
welcher Lebensphase – am gesellschaftlichen Leben in ihrer Stadt
teilnehmen können. Und das auch morgen noch!
Abschließen möchte ich mit einem Zitat eines Lokführers auf Twitter,
das sich vor allem an die betroffenen Reisenden richtet:
„Ein Streik der niemanden betrifft, führt halt zu nix.“

In diesem Sinne:
Solidarität mit den Forderungen und dem Streik der GDL!

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