Gedenken für Max Dortu

Heute vor 176. Jahren wurde der Potsdamer Revolutionär Maximilian Dortu im Alter von 23. Jahren durch preußische Militärs im Badischen hingerichtet. Er soll nach dem Verlesen seines Todesurteils am Tag der Hinrichtung folgenden Satz gesagt haben: „Ich sterbe für die Freiheit; schießt gut, Brüder!“.

Anlässlich dieses mörderischen Aktes findet wie jedes Jahr ein Gedenken am Geburtsort Dortus – der heutige Max-Dortu-Grundschule – eine gemeinsame Gedenkveranstaltung von Stadt Potsdam und antimilitaristischen Förderverein statt. Eine der beiden Redebeiträge dokumentieren wir nachstehend.

Rede zur Gedenkfeier am Dortu-Haus

Liebe Freundinnen und Freunde,

sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Beigeordneter,

ich begrüße Sie zu unserem Gedenken an den 176. Tag der Ermordung von Max Dortu durch die preußische Monarchie. Max Dortu, der hier in diesem Haus geboren wurde, in Potsdam aufwuchs, wurde während seines Studiums in Heidelberg mit den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, gelebt in einer Bürgerrepublik, bekannt. Diese Ideen leiteten die revolutionären Kämpfe in den Jahren 1848/49 in Berlin und im Badischen, wo Dortu durch die Preußen zu Tode gebracht wurde.

An seiner Hinrichtungsstätte auf dem Wiehre-Friedhof in Freiburg im Breisgau befindet sich sein Grab. Dort findet – wie seit vielen Jahren – heute am Abend ab 18:00 Uhr eine Gedenkfeier für die Kämpfer für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte von 1848/49 statt. Gemeint sind neben Maximilian Dortu, Friedrich Neff und Gebhard Kromer. Die Gedenkstunde wird in diesem Jahr im Rahmen ihres Jubiläumsprogramms „150 Jahre Bürgervereine Wiehre“ veranstaltet. Mit tatkräftiger Unterstützung der „Initiative zur Erinnerung an die badische Revolution“, die das Gedenken an die historische Demokratiebewegung seit über 20 Jahre pflegt. Und mit Unterstützung der Stadt Freiburg, deren Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach ein Grußwort sprechen wird. Im Mittelpunkt der Gedenkstunde steht das Schauspiel „Ihr Leben für die Freiheit“. Die Aufführung wurde im letzten Jahr (zum 175. Todestag) durch ein heftiges Gewitter vereitelt.

Dortus demokratisches Engagement würdigt die Stadt Potsdam mittlerweile auf unterschiedliche Weise. Sie würdigt dies auch mit dem Max-Dortu-Preis für Zivilcourage und gelebte Demokratie. Der Preis wurde im letzten Jahr zum vierten Mal vergeben. Der Preis ist wichtig. Ebenso wichtig ist es, gelebte Demokratie täglich zu organisieren und erfahrbar zu machen. Mit Organisieren meine ich, die Bedingungen dafür politisch zu organisieren und wenn sie nicht da sind, diese zu erkämpfen.

Erinnern wir uns:

Am 6. März 1848 legte Maximilians Vater, Ludwig Dortu ein Reformprogramm in der Stadtverordnetenversammlung Potsdam vor, das Pressefreiheit, Rede- und Versammlungsfreiheit sowie ein Ende der Polizeiwillkür beinhaltete. Vier Wochen später gibt Maximilian Dortu in einer Rede dem Prinzen von Preußen, dem Exponenten der militant-reaktionären Teil am Hofe, Wilhelm, den berühmt gewordenen Beinamen „Kartätschenprinz“ und warf ihm Verrat am Volke vor. Für diese Meinungsäußerung wird Dortu wegen persönlicher Beleidigung des Prinzen von Preußen im Juni 1848 zu fünfzehn Monaten Festungsarrest verurteilt und seiner Stellung enthoben. Von Redefreiheit keine Spur.

Meinungsfreiheit heute: Sicherlich ist es heute möglich, ohne Haftstrafe den Bundesminister für Verteidigung den Beinamen „Kanonenboris“ zu geben, weil er mit seinem Gerede von der Kriegstüchtigkeit die Rüstungsspirale und die Militarisierung der Gesellschaft vorantreibt. Allerdings beginnen dann sofort die Skandalisierungsmechanismen an zu arbeiten. „Pazifist“, „Vaterlandverräter“ bis hin zu „Putinversteher“ oder „Friedenshetzer“. Ein Diskurs um Themen, Inhalte, Personen ist kaum noch möglich. Die Debatte um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hat dies erneut gezeigt. Aufregungsjournalismus, Unsachlichkeit und Verunglimpfung sind an Stelle von Fakten und Sachlichkeit oder gegenseitiger Achtung oder gar Toleranz getreten.

Rechtstaatlichkeit 1848: Die Frankfurter Reichsverfassung (auch Paulskirchenverfassung) vom 28.März 1849 war die erste gesamtdeutsche und demokratische Verfassung des Nationalstaates Deutschlands, auch wenn sie im Nachgang heftig umstritten und letztendlich, speziell von Preußen blutig bekämpft wurde. Schon in dieser Verfassung waren die Grundrechte des deutschen Volkes seitens der Bürger vor einem Reichsgericht einklagbar.

Mitte des 19. Jh. wurden die Grundprinzipien des liberalen Rechtsstaates im Kampf gegen den monarchischen Obrigkeitsstaat, der die Bürger als Untertanen bevormundete, durchgesetzt. Die Rechtstaatlichkeit wird auch heute noch als ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft gesehen. Doch was ist diese Rechtsstaatlichkeit wert, wenn (wie im Fall der drei somalischen Flüchtlinge Anfang Juni) Gerichtsurteile als Einzelfallentscheidungen von Bundesministern abgetan werden, oder die Bundesregierung sich sanktionslos an die Seite eines Staatsführers stellt, der vom internationalen Strafgerichtshof wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen per Haftbefehl gesucht wird. Und ihn auch aktiv politisch unterstützt, Waffen liefert, Wirtschaftshilfe leistet und sich somit ggf. mitschuldig macht. Aber vor allem diskreditiert die Bundesregierung das hohe internationale Gericht, deren Rechtsprechung und deren Wertekompass, auch der unsrige sein sollte.

Paulskirchenverfassung 1849, Weimarer Verfassung 1919 (übrigens am 31.07. beschlossen) und Grundgesetz von 1949. Die Chance und die Pflicht des Grundgesetzes, dieses durch eine Verfassung abzulösen, wurde 1990 verpasst bzw. bewusst ignoriert.

Warum? Wieso haben es die Bundesregierungen in den letzten 30 Jahren nicht geschafft oder gewollt, eine neue Verfassung zu etablieren, um so das Verständnis für Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit auch zu schärfen? Auch „moderne“ Elemente der Mitbestimmung und Entscheidungsfindung hätte voraussichtlich mehr Erfolg bezüglich Debattenkultur und Demokratieverständnis gebracht, als ein dreitägiges Straßenfest zum 75. Jubiläum in Berlin mit Werbegeschenken der Länder, Kugelschreibern und Luftballons.

Wäre der 75. Jahrestag des Grundgesetzes nicht eine gute Gelegenheit gewesen, wenigsten den provisorischen Charakter des Grundgesetzes aufzuheben? Der Artikel 146 kann historisch erklärt und begründet werden. Sachlich begründen, weshalb wir ihn heute noch brauchen, kann ihn wohl niemand. Oder wollen wir Deutschland noch erweitern? Ist die Vereinigung territorial noch nicht abgeschlossen? So super der Artikel 1 des Grundgesetzes ist, so überflüssig ist der Artikel 146. Er lautet: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“ Wenn ein Artikel dieses Grundgesetzes sinnfrei ist, welchen Wert haben dann die anderen 145 Artikel des GG? Wie ernst meinen wir die Menschenwürde in ersten Artikel des Grundgesetzes, wenn wir den Auftrag des letzten Artikels nicht ernst nehmen? Warum verkrampft dieser Staat und weite Teile der Gesellschaft ständig, wenn es um die Weiterentwicklung der Demokratie und die Aufarbeitung der Geschichte geht?

Gerade hier im Schatten der Garnisonkirche (die eine Pfarrerin mal „gottlose Bude“ nannte), die wie kaum ein anderes Gebäude ein Symbol des preußischen Militarismus, Krieges und antidemokratischen „Geist von Potsdam“ ist, sollten wir uns auch öfter fragen, warum wir so ein gestörtes Verhältnis zur deutschen, preußischen Geschichte haben.

Vor einigen Tagen nahm ich an einer Führung durchs „Neue Palais“ teil. Es ging um Muscheln, goldene Leuchter, seidene Tapeten und alte Bilder der Hohenzollern. Im Arbeitszimmer des letzten deutschen Kaisers wurde erläutert, dass auf dem Schreibpult wahrscheinlich schon ein Telefon stand, weil man später entsprechende Leitungen fand. Kein Wort dazu, das an diesem Arbeitstisch am 31.07.1914, also heute vor 111 Jahren, die Mobilmachung Deutschland unterschrieben und befohlen wurde. Wahrscheinlich per Telefon. Am Tag darauf erklärte das Deutsche Reich Russland den Krieg und weitete somit die Kämpfe zwischen Österreich und Serbien zum 1. Weltkrieg aus.

Ja, Potsdam profitiert von den Schlössern der Hohenzollern. Das ist aber kein Grund sie kritiklos zu glorifizieren. Aller Prunk basiert auf der Ausbeutung des eigenen Volkes oder überfallender Völker. Es wird Zeit, dass wir deutlich machen, das Potsdam zwei Jahrhubderte ein Ort der Reaktion war.

Aber auch ein Ort der Revolution. Auch wenn wir den Luisenplatz nicht in Platz des 4. Novembers umbenannt haben. Auch wenn wir den Platz am Landtag (im Kontext des Kapp-Lüdewitz-Putsches) noch nicht in Helene-Bürger-Platz umbenannt haben. Auch das Auslassen von solchen Benennungen leistet dem Geschichtsrevisionismus von Rechts Vorschub. Das bauliche Gegenstück zu unserem Gedenken heute steht im Babelsberger Park. Das „Erinnerungsdenkmal an den Badischen Feldzug von 1849“, auch „Michaelisbrunnen“ genannt, welcher Dank privater Spender seit 2020 wieder vollständig hergestellt ist. Es ist ein Geschenk des Preußischen Königs an seinen Bruder, Prinz Wilhelm, dem „Kartätschenprinz“; als Dank für die Niederschlagung der Badischen Revolution.

Schauen wir abschließend hinüber zum Glockenspiel. Es ist stillgelegt, steht aber unter Denkmalschutz. Aktuell weist nichts auf seine hochproblematische Bedeutung hin; außer der Lernort im Rechenzentrum. Es gibt einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, einen künstlerischen Wettbewerb zu nutzen, um über die künftige Verwendung nachzudenken. Es bedarf einer Arbeit am Glockenspiel, um dieses nicht unkommentiert und damit in seinen Aussagen letztlich wirksam hier stehen zu lassen. Es ist ein Geschenk rechtsradikaler Kräfte aus dem Jahr 1991 und glorifiziert durch sein Liedgut den preußischen Untertanengeist. Der Beschluss der SVV zum künstlerischen Wettbewerb muss umgesetzt werden. Engagement ist gefragt. Es ist kein Akt der Zivilcourage im Sinne von Dortu notwendig, nur ein normaler Akt gelebter Demokratie, ein funktionierender Verwaltungakt.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit, ihr Kommen, ihr Gedenken

Carsten Linke

Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V.

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