Langer Freitag

Heute, am 24.Oktober tritt Noosha Aubel ihr Amt als Oberbürgermeisterin der Stadt Potsdam an. Am Vormittag findet ihre Vereidigung im Ersatz-Rathaus in der Edisonallee statt. Lars Eichert, der den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung vertritt, nimmt ihr den Amtseid ab. Ganz ohne Party. Die feierliche Amtseinführung mit der Übergabe der Amtskette findet später, am Dienstag, 4. November, im Großen Saal im Potsdam Museum statt.

Noosha Aubel ist die zweite Frau auf dem Stuhl der Oberbürgermeisterin. Frau Brunhilde Hanke (die vor einem Jahr starb) hatte dieses Amt von 1961-1984 inne. Frau Aubel ist aber die erste Frau mit Migrationshintergrund, die Oberbürgermeisterin einer Landeshauptstadt wird. Die parteilose Obermeisterin hat allerdings von den alten Männern dieser Stadt ein schweres Erbe hinterlassen bekommen. Potsdams Stadtkasse ist tief in den roten Zahlen. Die Einnahmen hinken den Ausgaben hinterher – und die Aussichten sind düster. Einer der dafür Verantwortlichen, der Kämmerer Burkhard Exner (SPD) stellte gestern den negativen Jahresabschluss für 2023 vor. „Man wünscht niemandem eine solche Ausgangsposition.“ für das neue Amt, lässt sich Exner in der Tagespresse zitieren.

Die SPD ist seit 35 Jahren in der Landeshauptstadt im Amt, auch im Land stellt sie alle bisherigen Ministerpräsidenten und führt die Regierungen an. Im Bund ist die SPD seit 2013 ununterbrochen mit in der Verantwortung. Und im Ergebnis beklagen sich alle Kommunen über zu geringe finanzielle Ausstattung für die Pflichtaufgaben, über zu hohe Lasten bei den Pflegekosten, der Flüchtlingshilfe, der öffentlichen Einrichtungen usw.. Die meist älteren SPD-Männer sind es, die dies mit zu verantworten haben. Sie haben den Sozialstaat mit ruiniert.  

Gleichzeitig haben sie es nicht geschafft, die Gleichstellung von Mann und Frau herzustellen. Die aktuellen Äußerungen vom Merz (CDU) und Woidke (SPD) zur AfD und dem Stadtbild am 14. Oktober in Potsdam, machen erneut deutlich, wie weltfremd sie agieren. Schlimm genug, dass Woidke zwar einen Wettstreit um die bessere Brandmauer einging, aber nicht beim Stadtbild interveniert hat.  

Am liebsten würde ich ihnen zurufen: „Fragt eure Töchter, ob sie weiterhin benachteiligt werden wollen und von alten weißen Männern bevormundet oder für rassistische Debatten missbraucht werden wollen.“

Zum Glück gehen seit Tagen Frauen und Männer auf die Straße um an vielen Orten der Republik gegen diesen Rassismus, Chauvinismus und religiös geprägtes Patriachat zu protestieren. Auch in Potsdam. Nach einer Kundgebung in Berlin am Dienstag unter dem Motto „Wir sind die Töchter!“ mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern demonstrierten am Mittwoch in Kiel 1.500 Menschen. In Köln sind am gestrigen Donnerstag unter dem Motto „Merz spricht nicht für uns. Wir sind die Töchter Deutschlands – und wir sind viele. Gegen patriarchale Rhetorik. Gegen rechte Hetze. Für Solidarität, Gleichberechtigung und Vielfalt! Für ein feministisches und buntes Stadtbild Kölns!“. Mehr als 1.000 Menschen kamen trotz Regen. In Münster waren es gestern 1.400 Teilnehmende.

Am 24. Oktober 1975, also vor 50 Jahren, legten 90 Prozent der Frauen in Island ihre Arbeit nieder. Die mehr als 20.000 Frauen versammelten sich zu Demonstrationen statt, wie sonst als selbstverständlich erachtet, sich oft auch noch neben einer Erwerbstätigkeit, um die Hausarbeit und Kinderbetreuung zu kümmern. Gleichberechtigung, eine faire und gleichwertige Bezahlung ihrer Arbeit und bessere Kinderbetreuung. Das forderten die Protestierenden. Sie wollten deutlich machen, wie sehr das Land von Frauen und ihrer Arbeit abhängig ist.

Heute führt Island seit 16 Jahren den Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums an, als das Land mit der weltweit geringsten finanziellen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und das Land, das als einziges über 90 Prozent der geschlechtsspezifischen Unterschiede beseitigt hat. Soviel zur Statistik.  „Wenn Island das Paradies für Frauen ist, habe ich Angst, wie der Rest der Welt aussieht“ sagt Drífa Snædal (eine der Mitorganisatorin des Frauenstreiks vom 24. Oktober 2023), denn der Gender Gap kann nur ein Vergleichskriterium sein.

Der 24. Oktober 1975 ging als „langer Freitag“ (für die isländischen Männer) in die Geschichte des Landes ein.

Heute, Freitag dem 24. Oktober 2025, gehen wieder Menschen auf die Straße. Auch in Potsdam. Heute sind es nicht die alten weißen Männer, sondern vor allem jungen Menschen aller Geschlechter, die sich für eine Stadt für alle und ein buntes Stadtbild einsetzen. Sie „wollen Freiräume statt Konsumzwang, bezahlbare Wohnungen statt Eigenbedarf1, bunte Ecken statt glatter Fassaden, Straßen für Menschen statt für Autos, Gemeinschaft statt Rassismus und Ausgrenzung.“

Im Aufruf für den Fahrrad Rave durch Potsdam heißt es weiter: „Diese Stadt gehört nicht nur den Reichen und Tourist:innen! Sie gehört allen, die hier leben. Doch Stadtpolitik und Investoren machen dicht: Parks werden überwacht, Clubs verdrängt, Wohnungen unbezahlbar, alles wird kommerzialisiert. Wir sollen brav konsumieren – oder verschwinden. Aber wir sind noch da! Und wir lassen uns den Raum nicht nehmen.“

Mehr dazu unter: https://www.instagram.com/p/DPqmLiLDbO0/?igsh=b25tNnQzOXJtNTF5

Vielleicht braucht nicht nur Island, einen langen Freitag, um zu begreifen, dass Diskriminierung jeder Art der Gesellschaft, der Demokratie und unserem Miteinander nur schadet.

Christiane Krüger

P.S. Soeben erreichte uns die Nachricht, dass in der Nacht zu gestern die Bücherzelle, also der Potsdamer Gedenkort zur Bücherverbrennung der Nazis am Bassinplatz geschändet wurde. Menschen zündeten wieder Bücher an. Genau das verstehen Idioten unter Stadtbildsäuberung, zu der auch Herr Merz indirekt Vorschub geleistet hat.

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