Gold für Boede

Lutz Boede wird sich dieser Tage ins Goldene Buch der Stadt Potsdam eintragen. Gut so. Einhundert Jahre nach dem Beginn der parlamentarischen Demokratie in Weimar und der Ermordung von Luxemburg und Liebknecht darf sich auch mal ein Linker in diesem Sammelsurium der Stadtgeschichte verewigen. Das liberal-bürgerliche Milieu schäumt. Vom „Bürgerschreck“ Lutz Boede ist da die Rede. Scheinbar hat dieser alles richtig gemacht! Die Reaktionen der Reaktionäre ist eine Lehrstunde für Toleranzlosigkeit und Demokratiedefizit.

Drei Beispiele für Intoleranz und falsches Demokratieverständnis:

Dass dieser Mensch, der seit Jahren Potsdam mit seinen linksextremistischen Aktionen terrorisiert, nun auch noch ausgezeichnet wird, ist ein Schlag ins Gesicht aller bürgerlich liberalen Kräfte dieser Stadt.“ (Näder)

Es gibt viele Beispiele für undemokratisches Verhalten. Da war die Gewalt gegen die Langen Kerls, Proteste gegen die Rückführung der Särge der Preußenkönige, permanente Störaktionen gegen den Aufbau des Fortunaportals, ebenso gegen die Errichtung des neuen Landtages und des Turms der Garnisonkirche sowieso. Womit hätten wir ehrenamtlich tätigen Potsdamer das verdient?“ (Schobeß)

Beim Benefizkonzert in der Kirche Peter und Paul verhöhnten (Boede) seine „Genossen“ den Alt-Bischof Huber in schmutziger Weise. Hausbesetzung im FH-Gebäude, Hausbesetzung in der Hebbelstraße: alles illegal, aber „legitim“, nach eigenen Aussagen seiner „Anderen“.“ (Mehls)

Laut Herrn Näder ist das konsequente Eintreten für eine politische Meinung Terrorismus, nur weil ihm die Meinung Boedes nicht passt. Das eigene ICH ist also der alleinige Maßstab.

Frage an Herrn Schobeß: Was ist an einer Protestveranstaltung gegen Militarismus und Feudalismus sowie dessen Symbole (Lange Kerls, Könige, Schloßbauten, Militärkirche) undemokratisch? Bloß weil Sie eine andere Meinung haben, sind andere Positionen doch nicht undemokratisch. Die Symbole von Militarismus und Feudalismus können aber sehr wohl eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Der Protestierer gegen diesen Symbolismus ist der Hüter der Demokratie.

Das Ehepaar Mehls und all die Zugezogenen und alteingesessenen Vergesslichen möchte ich daran erinnern, dass ohne Hausbesetzungen in den Jahren 1987-2000 kaum noch etwas übrig wäre, von der barocken Innenstadt. Die Spekulanten und Plattmacher standen damals Schlange. Eine behutsame Sanierung wäre so nicht geglückt. Und Herr Huber wurde nicht verhöhnt, er wurde von einem Teil der Stadtgesellschaft Potsdams ausgezeichnet. Huber bekam schließlich die Goldene Axt 2018. Durch Kompromisslosigkeit und Ignoranz gegenüber direktdemokratischer Voten in Potsdam (erfolgreiches Bürgerbegehren 2014 und sämtliche Bürgerhaushaltsabstimmungen), hat er sich besondere Verdienste zur Spaltung der Potsdamer Gesellschaft erworben. So zumindest die Meinung der BI „Potsdam ohne Garnisonkirche“. Goldige Zeiten: Huber die goldene Axt, Stolpe die goldene Ehrennadel der Garnisonkirchenstiftung und Boede das golden Buch der Stadt. Jedem die Ehre, die ihm gebührt. Gelebte Demokratie!

Die Demokratie lebt aber nicht von Ehrungen allein, sondern vom Diskurs. Und um diesen zu führen, bedarf es verschiedener Meinungen und Auffassungen, manchmal auch ungewöhnlicher Aktionen. Mehrheitsmeinungen hoch zu halten ist relativ einfach. Die Position der Minderheiten zu vertreten ist hingegen viel schwieriger, aber immer notwendiger. Nicht hinterfragte Mehrheiten können schnell zum Dogma werden. Und Dogma geht einher mit Ausgrenzung. Ein Blick in unser Nachbarland Polen macht dies deutlich. Die Verrohung der Gesellschaft, die Gleichschaltung der Medien und die hasserfüllten Debatten führten zum Tod des kritischen Bürgermeisters Pawel Adamowicz. Die ICH-Bezogenheit, die die heutige Zeit prägt, kann schnell der Anfang vom Ende des Miteinanders, der Toleranz und Vielfalt sein.

Wenn wir dieses Jahr auf die letzten 30 Jahre in Potsdam zurückblicken, dann fallen mir viele Namen ein. Zwei davon sind Lutz Boede und Saskia Hünecke. Beide vertreten ihre Sicht von Stadtentwicklung und Gesellschaft seit dem Herbst 1989 sehr konsequent. Saskia Hünecke meist mit Hilfe der Mehrheitsfraktionen und Lutz Boede in Opposition. Mit Frau Hünecke verbinden viele den Begriff „Sichtachse“, mit Herrn Boede „Protest“. Beides kann nerven, aber beides ist notwendig und Teil unserer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Für mich als Bürgerrechtler, der ARGUS und die Grüne Partei in der DDR mitbegründet hat, also die ersten politischen Heimstätten von Hünecke und Boede, ist es eine Freude, dass deren gesellschaftliches und immer ehrenamtliches Engagement dieses Jahr gewürdigt wird. Beide haben sich auf ihre Art um die Stadt und die Demokratie verdient gemacht.

Demokratie zeigt sich nicht in der Überheblichkeit der Mehrheit, sondern im Zulassen von anderen Meinungen, solange diese auf einem Grundkonsens der Menschenwürde basieren. Auch das Funktionieren der Demokratie kann sich nur an der Meinungsfreiheit der Andersdenkenden messen lassen! Irgendwann müssen wir doch aus dem Töten von politisch unliebsamen Menschen (von Luxemburg bis Adamowicz) lernen! Januar 2019 ist ein guter Zeitpunkt dafür.

Carsten Linke

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