„Potsdam autofrei“ stellt sich vor

Die BI „Potsdam autofrei“ hatte diese Vorstellung eigentlich der PNN geschickt.

Wir dokumentieren:

Das Bündnis will in den nächsten Jahren schrittweise eine autofreie Zone zwischen Bassinplatz und Brandenburger Tor etablieren.

Wie bewerten Sie dieses Vorhaben?

Die Pläne des Rot-grün-roten Bündnisses in Potsdam beinhalten wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die Klima- und Umweltkrise erfordert entschlossenes Handeln und es bleibt nicht mehr viel Zeit, für einen radikalen Wandel unseres Wirtschaftssystems. Wir brauchen einen Kohleausstieg bis 2025, eine radikale Agrar- und Ernährungswende hin zu einer kleinbäuerlich organisierten, ökologisch ausgerichteten diversifizierten Landwirtschaft und insbesondere im Verkehr stehen nun drastische Veränderungen an, weil man die letzten 25 Jahre nur die Autolobby bedient hat. Seit 1990 sind die Verkehrsemissionen nicht mehr gesunken, sondern steigen immer noch weiter. Effizienzgewinne durch bessere Motoren werden durch immer größere Fahrzeuge wieder wett gemacht. Und statt entschlossen in einen attraktiven und für alle erschwinglichen Umweltverbund (Fahrrad, Fuß, Bus, Bahn) zu investieren, werden immer noch Bahnschienen zurückgebaut und neue Autobahnen geschaffen.

Das Auto konkurriert mit dem Umweltverbund, finanziell und auch räumlich. Jeder Cent der in das System Auto fließt fehlt beim Ausbau einer umweltfreundlichen Infrastruktur. Und die Menschen die aus ökologischen Gründen auf Bahn und Fahrrad setzen werden abgestraft – schlechte Taktungen, überfüllte Busse und Bahnen, lebensgefährliche Radwege und eine unerträgliche Luftverschmutzung in den Städten.

Potsdam autofrei setzt sich seit Anfang letzten Jahres für ein Umdenken ein. Wir möchten eine Stadt, die für alle lebenswert ist und in der das Auto nur noch eine seltene Ausnahme darstellt. Beispiele für autofreie Städte gibt es bereits einige, wie z.B. die Stadt Pontevedra, eine Stadt an der spanischen Atlantikküste. Potsdam bietet sich wegen seiner besonderen Insellage und der hohen touristischen Bedeutung dafür an. Eine autofreie Innenstadt vom Bassinplatz bis zum Brandenburger Tor lässt sich schnell und kostengünstig umsetzen, braucht aber flankierende Maßnahmen, mit der wir die Erreichbarkeit mit dem Fahrrad und dem ÖPNV deutlich erhöhen – durch ein dichtes Netz an Radschnellwegen und Fahrradstraßen, die die umliegenden Orte mit der Potsdamer Innenstadt verbinden. Auch der ÖPNV muss sich verbessern und ticketfrei werden, damit die Menschen keinen rationalen Grund mehr haben, ihr Auto für eine Fahrt in die Stadt nutzen zu wollen. So schaffen wir wichtige Anreize für ein Leben ohne eigenes Auto. In Pontevedra sind die CO2-Emissionen nach Angaben der Stadt zwischen 1999 und 2014 um 67 Prozent zurückgegangen und die Attraktivität für Tourismus und Einkaufsbummel ist deutlich gestiegen.

Welche Auswirkungen hätte eine solche Maßnahme Ihrer Einschätzung nach für den Handel in diesem Gebiet, welche für den Tourismus?

Einzelhandel und Tourismus werden in höchstem Maße profitieren. Die Stadt wird attraktiver für alle – keine Staus, kein Lärm, keine Luftverschmutzung. Durch das Wegfallen der parkenden Autos werden Flächen frei, die einerseits eine stärkere Begrünung des öffentlichen Raumes ermöglichen und andererseits den Cafés und Restaurants für eine Außengastronomie zur Verfügung stehen werden. Die Stadt wird grüner, bunter und lebendiger, lädt zum Flanieren ein und erlaubt es, den Menschen häufiger und kostengünstiger in das städtische Zentrum zu kommen. Geschäfte werden von den häufigeren Besuchen profitieren. In Pontevedra werden inzwischen über 90 Prozent aller Einkäufe zu Fuß getätigt. Für viele kleine und große Geschäfte ist vor allem die Laufkundschaft wichtig, also die Menschen die zu Fuß an einem Laden vorbeigehen. In Pontevedra z.B. sind am Stadtrand und in den Vororten so wenige großflächige Einkaufszentren entstanden wie in kaum einer anderen Stadt Spaniens – zugunsten eines diverseren und lebendigeren Einzelhandels in der Innenstadt.

Auch der Tourismus wird attraktiver durch eine autofreie Innenstadt. Versiegelte Flächen, Verkehrslärm und massenhaft parkende Autos verschandeln das Stadtbild und machen es den Besucher*innen schwer, die einzigartigen historischen Stätten Potsdams auf sich wirken zu lassen. Zudem wird die Vermeidung von Luftschadstoffen den historischen Gebäuden zugutekommen und die Kosten für Restaurierungen an den wertvollen Außenfassaden erheblich reduzieren.

Der Anteil des Radverkehrs soll demnach von jetzt 26 auf 40 Prozent gesteigert werden.

Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben?

Wir begrüßen diese konkrete Zielvorgabe und hoffen sehr, dass entsprechende Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels schnell ergriffen werden. Die bisher eher verhaltene Umsetzung des Potsdamer Radverkehrskonzepts von 2017 lässt doch zu wünschen übrig und gerade mit Blick auf die Einrichtung der geplanten Radschnellwege hinkt die Stadt den selbst gesteckten Zielen weit hinterher. Der Radverkehr muss deutlich schneller, sicherer und attraktiver werden, damit ein Umstieg vom Auto aufs Fahrrad leichtfällt und damit Menschen beim Pendeln, Einkaufen und bei der Freizeitgestaltung mit dem Rad schneller sind als mit dem Auto – so wie es in Kopenhagen heute schon der Fall ist. Durch die konsequente Umsetzung einer radikalen Radverkehrsförderung wurde erreicht, dass in Kopenhagen schon heute über 40 Prozent aller Fahrten zur Arbeit und zur Schule mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Dies schafft Potsdam nur durch ein echtes Bekenntnis zum Radverkehr, d.h. ein dichtes Netz an durchgehend verbundenen Radschnellwegen und Fahrradstraßen, vom Autoverkehr klar getrennte Radwege, eine konsequente Ampelschaltung zugunsten des Rad- und Fußverkehrs, um das Fahrrad schneller zu machen und Rechtsabbiegeunfälle z.B. durch abbiegende LKWs auszuschließen sowie eine konsequentere Integration des Radverkehrs mit dem ÖPNV (z.B. Ausbau der Fahrradmitnahmemöglichkeiten in Regionalzügen).

Wie viele Mitglieder vertreten Sie?

Potsdam autofrei! ist kein eingetragener Verein und wir haben deshalb keine festen Mitgliederzahlen. Wir können aber sagen, wie groß die aktive Unterstützung aus der Stadt ist, denn wir organisieren regelmäßig Fahrraddemos, die meistens von sehr vielen Menschen mitgetragen werden – meist zwischen 200 und 250 Menschen. Zudem gibt es eine wachsende Zahl an aktiv mitwirkenden und gestaltenden Menschen, die bei der Planung und Umsetzung unserer politischen Arbeit dabei sind.

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