Ist Potsdam vorbereitet? Es gibt einen aktuellen Verdachtsfall in der katholischen St. Peter-und-Paul-Gemeinde. Kommen wir allein mit Nächstenliebe dagegen an?
Ein Gastbeitrag von C. W. Hirsch
Der Evola-Virus ist nicht zu verwechseln mit dem Ebola-Virus oder dem Corona-Virus. Erste Evola-Fälle gab es in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem in Italien. Vereinzelt auch in Deutschland und Rumänien. Seit den 80er Jahren hat es sich über ganz Europa ausgebreitet. Evola befällt die Menschen meist schleichend und ist eher für deren Umfeld toxisch. DIE ZEIT hat bereits in der Ausgabe 51/2014 darauf hingewiesen, dass sich „Das Evola-Virus“ speziell im Kulturbereich in Deutschland breit gemacht macht. DIE WELT, der Deutschlandfunk und andere zogen im Januar 2020 nach.
Baron Julius Evola war ein italienischer und metaphysischer Rassentheoretiker. Er versuchte erst das Mussolini-Regime zu beeinflussen, später den deutschen Faschismus. Seine geistige Renaissance erlebte er postmortem in den 80er Jahren bei der europäischen Neuen Rechten. Evola ist Teil des ideologischen Hintergrunds der faschistischen Bewegungen weltweit; auch in Deutschland. Es ist die facettenreiche Neue Rechte, die den liberal-demokratischen Konsens des Westens derzeit auf verschiedene Weise in Frage stellt. Teil dieser Bewegung ist die AfD. Und Konsens ist in der bürgerlich-liberalen Gesellschaft, dass diese AfD zum Nährboden des sich rasant ausbreitenden Rechtsradikalismus dazu gehört.
Minister Seehofer sprach jüngst von einer Blutspur des Rechtsterrorismus. Mehr als 200 Menschen sollen seit 1990 durch braunen Terror getötet worden sein. Hinzu kommt die stetig steigende Gewaltbereitschaft. Mindestens 12.000 Menschen seien „potentiell im rechten Bereich gewaltbereit“, sagt der Bundesinnenminister. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wegschauen, unterschätzen, negieren der Entwicklungen waren und sind ein Teil der Ursache – das Gewähren lassen in den letzten Jahren.
Der neue Faschismus versteht sich als Abwehrkampf. Auch gegen internationale, globale Entwicklungen, gegen das Fremde. Die Neue Rechte lebt in finanzieller und emotionaler Hinsicht von der Sympathie bürgerlicher Ehrenleute und der Gewaltbereitschaft diverser anderer Schichten. Sie lebt auch von der medialen Aufmerksamkeit und von der oft undifferenzierten, oberflächlichen Betrachtung der Szene. Sie lebt aber auch davon, dass das Bürgertum seine Interessen von der Polizei, den Geheimdiensten und der Bundeswehr beschützt sehen will. Somit kann nach Einschätzung von Experten die schleichende Übernahme dieser Organe durch Faschisten und Rechte meist nicht richtig eingeordnet werden. Von Einzelfällen ist dann die Rede.
Die gesamte Gesellschaft ist seit den Neunzigern nach rechts gewandert. Dies zeigt sich auch in diversen Stadtrekonstruktionen; von Frankfurt/M bis Potsdam. Und es zeigt sich im politischen Alltag.
War Thüringen ein Einzelfall? Nein, im Kleinen ist es Alltag. Aber auf Bundesebene war es ein politischer GAU. Hellwach wurde eine Woche lang darüber auf allen Ebenen diskutiert. Es folgten zahlreiche Distanzierungen von der AfD als politischen Partner. Nach den Anschlägen von Hanau wurde die AfD erneut als verbaler Brandstifter identifiziert.
Und was geschieht in Potsdam?
Ein Vertreter der AfD darf im ehrenamtlichen Pfarrgemeinderat der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul bleiben. Das habe das Gremium in seiner ersten Sitzung entschieden, bestätigte Probst Arnd Franke den PNN am 28.02.2020 auf Anfrage. „Einigkeit bestand darüber, dass das Gebot der Nächstenliebe fordere, offen und ohne Vorurteile aufeinander zuzugehen. Das bedeutet insbesondere, dass allein die Zugehörigkeit eines Pfarrgemeinderatsmitglieds zu einer bestimmten Partei einer vertrauensvollen, konstruktiven Zusammenarbeit nicht entgegensteht“, heißt es in einer Mitteilung des Gemeinderats zu der Entscheidung.
Waren nicht ähnliche Argumente die Legitimierung der Klüngelei von CDU, FDP und AfD in Thüringen? Statt auf die Nächstenliebe wurde auf die „Wahl“ der AfD-Abgeordneten verwiesen. Nicht Gotteswille, sondern Volkeswille war hier die Brücke des Mitteinander.
Erinnert nicht das katholische Hochfest für Peter-und-Paul an die Valerianische Verfolgung der Christ*innen im Römischen Reich? Also an Ausgrenzung! Und steht die AfD nicht vor allem dafür in der Kritik, für ihre Ausgrenzung von Andersdenkenden, Andersaussehenden und Andersgläubigen? Hat die katholische Gemeinde Potsdams nichts dazugelernt in jüngster Zeit? Erst läutet die Peter-und-Paul-Kirche lautstark gegen Pogida und andere Rechte an (sehr löblich!) und nun holt sie sich deren parlamentarischen Arm in den Gemeinderat? Ist das wirklich Nächstenliebe oder geistiger/geistlicher Sadomasochismus?
Aber die Gemeinde St. Peter und Paul ist kein Einzelfall. Die gutbürgerliche „Initiative für Schönheit“ (Mitteschön!) sang noch vor wenigen Wochen mit AfDlern für die Wiederbelebung des nationalistisch-faschistischen Glockenspiels mit seinem feudalen und antisemitischen Liedgut. Schön! Doch auch die Stiftung Garnisonkirche und dessen Förderverein haben es bis heute nicht geschafft, sich von Alexander Gauland, einem Erstunterzeichner des „Rufes aus Potsdam“ zum Wiederaufbau der Garnisonkirche, zu distanzieren.
Die Gemeinde St. Peter und Paul war auch nicht die einzige Gemeinde, die das Geld von Max Klaar annahm, als dieser als rechtsradikal eingestufte Ex-General der Bundeswehr, seine ursprünglich für die Garnisonkirche gesammelten rund 6,3 Mio. Euro über die Kirchen der Stadt ausgoss: zur Pflege des preußischen Kulturerbes. Die katholische Kirche St. Peter und Paul bekam von der Stiftung Preußisches Kulturerbe 134.050 Euro. Zu den weiteren Nutznießerinnen gehörten u.a. die Nikolaikirche (690. 000 Euro), die Kirche Bornim (700.000 Euro), die katholischen St. Antonius Kirche (90.000 Euro), die evangelisch-lutherische Christusgemeinde (125.000 Euro) und die Kirche Bornstedt (303.000 Euro). Aber auch die Sanierung der Neptungruppe am Lustgarten wurde mit 125.000 Euro bedacht.
Das alles geschah und geschieht in Potsdam. Das ist falsch verstandene Toleranz. Das ist Geschehen lassen und Gewähren lassen. Veränderungen geschehen oft schleichend. Wie der stetige Tropfen, der den Stein höhlt. Oder in diesem Fall, als Tröpfcheninfektion, die das demokratische Ganze vergiftet.
Voilá Evola!