Potsdam und seine Mitte: Was hat dieses spezielle Verhältnis in den letzten Jahren nicht alles für Emotionen produziert, Gräben aufgerissen, Fakten verdrängt und Tatsachen geschaffen. Die Potsdamer Mitte gleicht einerseits einer Kampfzone höchst emotionaler Aggressivität und andererseits allabendlicher Stille. Während Rekonstruktionsfundamentalisten von und um Mitteschön! an ihrem Traum basteln, der Stadt eine Zeitreise in die Vergangenheit zu verordnen, räumt der ästhetisch-kapitalistische Bagger geschichtliche Epochen ab, stapelt ungeniert um und konstruiert Narrative aus der Retorte. Da läuft etwas falsch mit der Mitte. Da ist etwas falsch an der Mitte!
Seit den 90er Jahren heißt die offizielle Agenda der Stadt „Wiedergewinnung der historischen Mitte“. Die damit verbundenen Umgestaltungsmaßnahmen – Abrisse, Neubauten, Rekonstruktionen – stellen für einen Teil der Stadtgesellschaft die Heilung dar, für einen anderen Teil bedeuten diese schlichtweg Kulturbarbarei, Zerstörung und Entfremdung. Sie alle eint der Wunsch nach einer harmonischen Mitte. Nach einer Mitte, in der die gegenwärtige Stadt zusammenfindet. Soviel in den letzten Jahrzehnten aber auch gefordert, debattiert, demonstriert, protestiert, abgerissen, weggebaggert, gesprengt, gefällt, nachgebaut und versiegelt wurde … Unsere Stadt hat ihren Frieden bislang nicht gefunden. Potsdam hat seine Mitte nicht zurückgewonnen. „Hatte“ muss es nun heißen!
Denn nur wer sucht, der oder die findet! In der Potsdamer Mitte steht jetzt ein Monument. Folgt Mann oder Frau den Internetsuchmaschinen wird er, sie, es fehlgeleitet. Der Sanierungsträger ProPotsdam hat eine Seite geschaltet (www.potsdamermitte.de), die in die Irre und zu einem Sanierungsfall führt. Angeblich „geht es bei der künftigen Bebauung nicht um eine Wiedergeburt von Vergangenem.“ Bunt soll die Mitte-Mischung sein, obwohl jegliches Grün fehlt und die Aufenthaltsqualität im Sommer einem freiwilligen Mortalitätstest gleicht. Ganz anders die wirkliche Mitte der Stadt. Sie liegt im Grünen, eingebettet in die Lennesche Feldflur. Umgeben von Wiesen und Äckern. Ein Ort der Entspannung. Die Potsdamer Mitte besticht durch ihre Natürlichkeit und Autofreiheit. Zahlreiche Rad- und Wanderwege führen zur Mitte. Die umliegenden Gärten runden das Bild der Mitte ab (der Karl-Förster-Garten, die Habichtswiese, Volks- und Remisenpark, und im Norden der Gutsgarten mit Persiusturm). Fußläufig sind Weißer See und Jungfernsee zu erreichen.
Auch zum Mittelpunkt des Landes ist es nicht weit. Dieser liegt am nördlichen Rand des Fahrländer Sees; also unweit der Potsdamer Mitte. Kein Wunder, dass sich Potsdam oft für den Nabel der Mark hält und seine Schlösser, Gärten und Kulissen auf Kosten aller Brandenburger*innen fit gehalten werden. Mitteschön in Groß und auf Sand gebaut.
Jeder Raum, jede Zeit und jede Stadt verfügt über eine tatsächliche natürliche Mitte. Nur in der wahren Mitte kann das Herz Potsdams schlagen und die Stadtgesellschaft sich finden. Die Potsdamer Mitte neu denken! Das hätte und hat noch nie geschadet. Sie neu und monumental zu erleben, ist jetzt möglich. (Koordinaten: 13,029405 Grad östliche Länge und 52,426149 Grad nördliche Breite). Das Ferienwetter lädt ebenfalls zu einem Besuch ein.
Die Einweihung des Monumentes der Mitte erfolgte bereits. Der Festredner, Lutz Boede würdigte das Werk in seiner Ansprache wie folgt: „Dieses Monument verkörpert die vier Elemente. Gleichzeitig beinhaltet es die zentrumsbildenden Gegenstände Bank, Mülleimer, Schinkelleuchte und Kübelpflanze in konzentrierter Form und einer urbanen Dichte, die selbst in der vermeintlichen Mitte der letzten Jahrzehnte unerreicht blieb. Denn als hätten die Protagonisten und Propagandisten der falschen Mitte es selbst nicht gewagt, finden sich im Schlachtfeld aus Flächenabriss und Fassadenkopien Bank, Eimer und Kübelpflanzen nur selten so dicht beisammen wie in dem Monument, vor dem wir hier stehen. Und nur zehn der Schinkelleuchten sind an der Stadtschlosskopie standesgemäß auf Echsenmasten gesetzt und mit einer Krone versehen. Der Rest besteht aus billigen kunstgewerblichen Nachbauten, die in einer wahren Mitte keinen Platz haben. Besonders gelungen ist deshalb auch die Ausführung des Kunstwerkes in der potsdamspezifischen Kulissenform. Durch dieses Stilmittel übertragen Ina Weise und Marcus Große den Anspruch auf Authenzität und Autorität von der falschen in die wahre Mitte. …“
P.S. Die MAZ hatte übrigens schon 2015 recherchiert, wo genau der Mittelpunkt der Stadt ist, auf dem nun das „Monument für die Mitte“ steht. Es steht in der Mitte des Stadtgebietes. https://www.maz-online.de/Lokales/Potsdam/Das-ist-Potsdams-neue-Mitte Die Mitte Potsdams, wo ist sie?