Hauptsache die Form stimmt

... ein Kommentar zu den Kommentaren über die Proteste gegen das RAW Projekt.

In Potsdam kommt es immer auf Äußeres an, darauf, dass die Form stimmt und man sich an Regeln hält.

Bei allen Debatten, Streitthemen um die Stadtentwicklung verläuft hier eine sichtbare Grenze und klare Argumentationslinie. Beim barocken Wiederaufbau der Stadtmitte geht es natürlich nicht um die Nutzbarkeit von Gebäuden, um Nachhaltigkeit oder Bedürfnisse der Menschen, nein, diese Mitte muss schön werden. Ganz im Gegenteil zu der hässlichen DDR – Architektur. Die Fachhochschule war hässlich – nach G. Jauch – und musste weg. Und als nach einem erfolgreichen, aber mit rechtlichen Tricks verhinderten Bürgerbegehren Menschen als letzte Option des Protestes die Fachhochschule besetzten, hatten sie natürlich gegen alle Formen und Regeln der gesitteten politischen Umgangs verstoßen – sie hatten „Demokratie nicht verstanden“, wie eine Potsdamer Tageszeitung kommentierte. Ähnlich ist es mit dem Streit um die Garnisonkirche. Die ist prägend für das alte Potsdamer Stadtbild und „schön“. Da geht es doch nicht um Argumente wie Militarismus, Nationalismus und Faschismus, so eine schöne alte Kirche braucht die Stadt eben. Und wenn Kritiker*innen ob dieser Ignoranz wütend werden und laut protestieren, dann stören sie mal wieder Ruhe, Ordnung und Form und kommen vor Gericht.

Auch in der Debatte um das Megaprojekt eines „Creativ Village“ auf dem RAW Gelände ging es lange Zeit um Äußeres, Formen und Regeln. Die geplante Höhe störe die Sichtachsen und das Stadtbild wurde argumentiert, die Stadtverwaltung wahrte alle Formen der angeblichen Mitbestimmung und viele Bürger*innen und Anwohner*innen diskutierten eifrig mit.
So wurden gleich zwei Einwohnerversammlungen organisiert – ohne, dass die Anwohner*innen noch irgendwas mitentscheiden konnten. Die Anwohner*inneninitiative durfte Reden halten, hat Hunderte Seiten an Einwendungen formuliert – ohne, dass sich an dem Projekt irgendwas geändert hätte. Die Stadt prüft jetzt tatsächlich eine „Soziale Erhaltungssatzung“ – seit fast 2 Jahren, ohne greifbares Ergebnis. Und „Stadt für alle“ hat intensive investigative Recherchen über die Investoren und Projektentwickler veröffentlicht – ohne, dass die Stadt dies nur in einem Punkt von ihrer Unterstützung für eben diese Investoren abgebracht hätte.

Und jetzt formiert sich tatsächlich noch einmal Widerstand gegen dieses unsinnige Megaprojekt.
Völlig unerwartet für alle diejenigen, welche der Meinung waren, die Stadt und der Investor hätten doch alle Formen gewahrt, alle rechtlich vorgeschrieben Schritte eingehalten.
Vollkommen erwartbar für Menschen in der Stadt, die sich auch in dieser politischen Debatte nicht wiederfinden und das Gefühl haben, eigentlich kann man in Potsdam machen, was man will – die Stadt und die Investoren ziehen eh alles durch, was sie vorhaben.

Und die Kommentare von MAZ und Henri Kramer/ PNN?
Sie verweisen wieder nur auf Form der politischen Debatte. Sie sei durch ein Graffiti mit dem Spruch „RAW Investor verjagen“ verroht, meint die MAZ und schiebt gleich nach, dass dies AFD – Sprache sei – wie auch H. Kramer auf Twitter und Facebook.

Um was geht denn hier eigentlich?
Um einen freundlichen und eloquenten Investorenvertreter und seine Sorgen?
Oder darum, dass dieses Projekt Menschen verdrängen wird, weil sie sich die Mieten im Quartier nicht mehr leisten können?
Geht es darum, ob ein Investor, der gerade in einer Villa in Monaco, Moskau oder London sitzt Angst haben muss vor radikalen Kritiker*innen in Potsdam?
Oder um Freiräume für Menschen im Quartier, um die wirklichen Bedürfnisse wie bezahlbare soziale, Kultur – und Bildungseinrichtungen in der Stadt?
Geht es um Formen und Äußeres oder darum, wem eigentlich die Stadt gehört und wem ihre Entwicklung dienen sollte?

Es lohnt, diesen Auszug aus der Rede einer Aktivistin vor der Stadtverordnetenversammlung noch einmal zu wiederholen: „Diese ganzen Debatten, das ganze Engagement haben nichts daran geändert, dass Betroffene hier nicht berücksichtigt werden, geschweige denn Ameisen oder irgendwelche Fledermäuse. Das ändert nichts daran, dass hier für Leute gebaut wird, die hier NICHT wohnen, dass hier Arbeitsplätze entstehen sollen für Leute, die hier NICHT leben, dass hier ein riesen Verkehrschaos gebaut wird, dass hier mit Renditen gerechnet wird, die NICHT in der Stadt bleiben. Da wird ein „UFO“ hingestellt, das Potsdam nicht besser, nicht schöner, nicht zugänglicher, nicht sozialverträglicher machen wird.“

Unsäglich wird die ganze von MAZ und PNN aufgezogene Debatte, wenn sie dies auch noch mit der Gewaltfrage verbinden. Als wenn es in den letzten Jahren im Zuge des Streits um Stadtentwicklung irgendwo Gewalt gegeben hätte. Alle Mietenstoppdemos, alle Besetzungen – nie gab es irgendeine Form körperlicher Gewalt.
Erwarten die ernsthaft ein linksautonomes Kommando bei Herrn Nauheimer?
Oder geht es eher darum, die Kritik, die Inhalte zu diskreditieren, mit denen sich Menschen weiter gegen dieses Projekt wehren?

»Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, man kann ihn aber auch mit einer Wohnung erschlagen.“, meinte H. Zille Ende des 19. Jahrhundert und hat damit vor über 100 Jahren mehr verstanden, als die Mehrheit aller Stadtverordneten heute in Potsdam.

Heute werden von MAZ und PNN ernsthaft Argumente von Investorenvertretern unkritisch veröffentlicht, wenn diese auf die Segnungen von „Künstlicher Intelligenz und Gentechnik“ verweisen und meinen, „Wir sind nicht mehr im Klassenkampf“.
Dann fragt mal Mieter*innen, die von ihrem Einkommen das Vermögen von Superreichen in ihren Immobilienfonds mehren sollen. Darüber, ob wir in der Mitte von Potsdam wirklich Forscher*innen haben wollen, die an der gentechnischen Veränderungen von Saatgut forschen, die dann Kleinbäuer*innen überall in der Welt in den Ruin treibt mal ganz abgesehen.

Aber eine Aussage von Herrn Nauheimer können wir trotzdem teilen.
„Es ist eine allgemeine Drohung gegen jeden Investor“. Da hat er wohl Recht und das sehen wir auch so.
Wir halten jede jede private Investition in den Immobilienmarkt in der Stadt für ein Problem. Wir brauchen keine – oft anonymen Investoren, die mit Boden und Wohnen Gewinn machen wollen. Wir brauchen Freiräume für Projekte und Menschen, die nicht auf Gewinn und Wertsteigerung aus sind, wir brauchen bezahlbare, gemeinschaftliche Wohnflächen. All dies können und wollen private Investoren nicht leisten, sie wollen und müssen die Wertsteigerungen von Grundstücken als Rendite an ihre Anleger*innen weitergeben.

Um bei MAZ und PNN zu bleiben, die heute schreiben: „Sie werfen dem „dubiosen Investor aus der russischen Ölbranche“ unbewiesen „zwielichtige Finanzgeschäfte und Verdunklungsgefahr“ vor. “ Wo eigentlich bleiben deren eigene kritische Recherchen? Denn eigentlich ist es eher umgedreht: Herr Zeligmann musste niemals Rechenschaft über die Herkunft seines Vermögens, über die Millionen, die er in Potsdam investieren will ablegen. Natürlich ist dies dubios, natürlich zwielichtig, wir haben dies veröffentlicht und nicht die Lokalzeitungen, die heute wieder einmal die Form beklagen. Hier ist die Recherche noch einmal:

Deshalb werden wir uns sicher auch mit anderen Initiativen und Aktionsgruppen über Formen von Protest und Widerstand streiten.
Dies aber wird solidarisch und respektvoll geschehen und nicht denunziatorisch wie bei MAZ und PNN.

Und gemeinsam ist uns: Wir werden dieses Investorenprojekt verhindern!

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