Bornstedt – vom Modellprojekt zum Problemstadtteil

Im Jahr 2004 waren Menschen aus der Gruppe, die heute das Projekthaus Potsdam bewohnt und betreibt, in Tübingen – im Modellquartier „Französisches Viertel“. Vom berühmten Architekten und Stadtplaner Andreas Feldtkeller, von Baugemeinschaften und dem Stadtsanierungsamt erfuhren sie konkret vor Ort, wie nachhaltige, soziale und partizipative Stadtentwicklung funktionieren kann. Und am Ende gab ihnen Cord Soehlke – damals Leiter des Stadtsanierungsamtes noch einen spannenden Tipp mit: Eine Delegation aus Potsdam sei dagewesen, um sich anzuschauen und anzuhören, was an positiven Erfahrungen sie sich für ihren neuen Stadtteil Bornstedter Feld mitnehmen könnten – Konzeptvergaben an Baugemeinschaften zum Beispiel.
Zurück in Potsdam haben sie sich davon inspiriert beim Entwicklungsträger Bornstedter Feld gemeldet und als interessierte Baugemeinschaft vorgestellt. Dort war die Überraschung groß.
Wie schnell aus Phrasen Realität werden kann, damit hatte niemand gerechnet. Denn natürlich gab es gar kein Konzept für die Vergabe an Baugemeinschaften. Am Ende wurden den Interessent*innen drei Reihenhäuser gezeigt, die sie privat hätten erwerben – und tatsächlich über die Farbe der Fliesen selbst entscheiden können.
Mit Gemeinschaftsprojekten hatte das alles nichts zu tun – am Ende hat ein Investor die Reihenhäuser gekauft.

Heute, im Sommer 2024 stehen solche Reihenhäuser wieder zum Verkauf. Und die Menschen, die dort zur Miete wohnen müssen extreme Mieterhöhungen und Verdrängung fürchten.

Rund 50 Häuser möchte der Eigentümer verkaufen – zu Marktpreisen und das macht dann zum Beispiel für ein Reihenhaus mit 126 m² rund 700.000 €.
Die Menschen, die dort heute leben stellen gewissermaßen einen Querschnitt der Potsdamer Bevölkerung dar. Hier wohnen Erzieher*innen, Dozenten, Feuerwehrleute, Angestellte der Stadt und auch der Pfarrer der Gemeinde. Sie haben Indexmietverträge, die in den letzten Jahren zu stark gestiegenen Mieten von über 12 €/ m² geführt haben.
Die über Schreiben der Mittelbrandenburgischen Sparkasse erst bekannt gewordenen Verkaufsabsichten des Eigentümers sind für alle Betroffenen eine extreme psychische Belastung. In ganz kurzer Zeit sollen sie sich entscheiden, ob sie ihr Haus selbst kaufen wollen – aber das können die allermeisten gar nicht. Bei ersten Nachfragen bei Banken haben diese alle abgewinkt: Das sei niemals finanzierbar. Jetzt drohen Eigenbedarfskündigungen möglicher neuer Eigentümer, mindestens aber starke Mieterhöhungen.

Besitzer der Reihenhäuser dort ist die AIK.

Die aik Immobilien-Investmentgesellschaft mbH versteht sich als eine international operierende Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG).
Im Grunde heißt dies, sie verwalten Vermögen und legen es gewinnbringend an – unter anderem in Immobilien.
Die AIK wurde 1999 als Gemeinschaftsunternehmen von berufsständischen Versorgungswerken und der Deutschen Apotheker- und Ärztebank eG gegründet.
In diesem Jahr – 2024 – haben insgesamt 7 Versorgungswerke, die gleichzeitig Anleger und Besitzer sind, den Anteil der Bank mit übernommen – erfährt man auf der firmeneigenen Webseite https://aik-invest.de/de/ . Insgesamt sollen aktuell 31 institutionelle Anleger ihr Geld bei der AIK angelegt haben. Zu den Versorgungswerken gehören unter anderem das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Nordrhein, das Versorgungswerk der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und die Sächsische Ärzteversorgung.
Die AIK verwaltet nach Informationen des Privatbank Magazins aktuell 11 offene Immobilienfonds mit einem Volumen von immerhin 4,7 Mrd. €. Damit erzielten sie im schwierigen Jahr 2023 Erträge von 5 %, 2022 waren es sogar 10 % – erzielt aus Mieteinnahmen ihrer Immobilien.
Mit der AIK haben wir ein besonders problematisches Konstrukt des Immobilienmarktes. Über Pensionsfonds, Versicherungen, Versorgungswerke zahlen überall in den reichen Ländern jedes Jahr Millionen von Menschen Geld für ihre Altersvorsorge ein. Diese sind gezwungen, das Geld auf dem Kapitalmarkt so anzulegen, dass die vereinbarte Überschussbeteiligung, mindestens aber das eingezahlte Kapital (trotz Inflation) wieder ausgezahlt werden kann. In der Konsequenz suchen sich solche Anleger deshalb Geschäftsfelder, die hohe Renditen versprechen – so seit Jahren der Immobilienmarkt in Deutschland. Dort legen sie ihr Geld in Immobilienfonds an, erwerben damit auch Immobilien und versuchen, diese mit möglichst hohem Gewinn zu bewirtschaften. Genau das ist offensichtlich das Geschäftsmodell der AIK.
Das Makabere an diesem Konstrukt ist nun, dass sich hinter der Fassade von „Nachhaltigkeit, Zukunftsorientierung, sozialem Engagement“ (Webseite der aik) knallharte Immobiliengeschäfte verbergen. Die können im schlimmsten Fall dazu führen, das Ärzte, Architekten, Assistenten, die in einem solchen Fonds für ihre Rente einzahlen, von eben diesem gerade aus ihrer Wohnung geschmissen werden.

An den Entwicklungen in Bornstedt gibt es aber weitere problematische Seiten, die mit der Entstehungsgeschichte des Stadtteils verbunden sind.
Mit dem Bornstedter Feld sei es „Potsdam gelungen, einen attraktiven Stadtteil zu schaffen und dabei noch einen Schnitt zu machen“, … „Auch private Investoren haben nicht schlecht davon gelebt. Besonders wirtschaftlich profitiert hat ProPotsdam.“
Hinter dieser Analyse aus, die in der PNN und bei Stadtspuren veröffentlicht wurden verbirgt sich im Grunde das Konzept, fast den kompletten Stadtteil an private Immobilieninvestoren und Anleger – wie die AIK – zu verkaufen. Praktisch hieß dass, die ProPotsdam hat ab der Mitte der 90` er Jahre mit einer Tochtergesellschaft – dem Entwicklungsträger Bornstedter Feld – eben dort rund 410 Mio. € in die Infrastruktur und Verwaltung investiert und durch den Verkauf der Grundstücke und Häuser – natürlich an die Höchstbietenden – weit mehr eingenommen. Und gleichzeitig haben die Käufer – also die privaten Immobilieninvestoren wie die Prinz von Preußen AG, Seastone/ Instone oder der Immobilienfonds Aberdeen Asset ein tolles Geschäft gemacht, weil sie in eine Stadt, in einen Stadtteil investiert haben, wo die Werte der Grundstücke und die Mieten dazu seitdem nur eine Richtung kennen: Immer weiter nach oben.

Nicht vergessen sollte man, dass mit Volker Härtig, von 1993 bis 2003 Geschäftsführer des Entwicklungsträgers Bornstedter Feld, ein Verantwortlicher für diesen Prozess eingesetzt war, welcher nach Aussagen von Mieter*inneninitiativen aus Berlin ein ausgesprochener Gegner von Mieterrechten und sozialer Wohnungspolitik war und ist.
Die bekannte Mieter*inneninitiative Bizim Kiez beschreibt ihn so: „Volker Härtig hat sich in den vergangenen Jahren als ausgesprochener Gegner stadtpolitischer Initiativen aus der Zivilgesellschaft dargestellt. Den in der Koalitionsvereinbarung vorgesehenen Ausbau der Mitbestimmung bei Wohnungsneubauprojekten lehnt er ab… Im Stadtplanungsausschuss von Friedrichshain-Kreuzberg zeigt Härtig seit Jahren, dass er einen Stil der Konfrontation, Zuspitzung und aggressiven politischen Konkurrenz pflegt. Volker Härtig steht nicht nur für männliches Dominanzgebahren …, sondern explizit für die Abkehr von Partizipation und sozialer Wohnungspolitik.“

Das war also derjenige, welcher mit SPD – Parteibuch das Bornstedter Feld entwickeln sollte.
Heute gibt es im Stadtteil über neue 8.000 Wohnungen, mehr als 14.000 Menschen leben dort. Wie die Untersuchungen von Regiokontext ergeben haben halten gemeinwohlorientierte Unternehmen wie die ProPotsdam und die Genossenschaften dort unter
10 % der Wohnungen – sind also so gut wie gar nicht präsent.

Die Konsequenzen haben wir bei der Unterschriftensammlung für einen Mietendeckel in Potsdam erlebt. In Bornstedt haben überdurchschnittlich viele Menschen unterschrieben. Ganz oft haben sie an den Ständen ihren Ärger über die hohen Mieten im Stadtteil Luft gemacht. Ohne bezahlbaren Bestand gemeinwohlorientierter Unternehmen steigt natürlich auch der Mietspiegel viel schneller. Immobilienportale weisen Bornstedt als den teuersten Stadtteil von Potsdam aus. Die Angebotsmieten betrugen im 1. Quartal 2024 im Mittel 18,31 €/ m². Die Mietbelastungsquote ist hier ebenfalls die Höchste in ganz Potsdam, für einzelne Wohnungsgrößen müssten laut Geomap – Daten Haushalte bis zu 71 % ihres Einkommens für die Miete einplanen!

Und nun beginnen die ersten privaten Immobilienunternehmen ihre Bestände in Bornstedt teilweise zu verkaufen. Nachdem sie viele Jahre lang gut an den Miet – und Wertsteigerungen verdient hatten, haben die Erhöhungen der Zinsen und die Baukrise dazu geführt, dass weniger im Immobiliensektor angelegt und investiert wird und noch weniger gebaut. Und klar ist: Die Miethöhen, welche in Bornstedt erreicht sind, können sich selbst Menschen und Familien aus dem sogenannten Mittelstand in Potsdam nicht mehr leisten. Wenn aber die oben genannten Renditen nicht mehr erreicht werden können – wird eben verkauft. Dazu kommt: Viele Immobilienfonds und Projektentwickler brauchen gerade frisches Kapital, um teurere Darlehen zu bedienen oder als Eigenkapital für neue Projekte.
Auf dem beschriebenen Immobilienmarkt in Bornstedt sind solche Verkäufe aber nur zu Preisen möglich, welche für die Mehrheit der Mieter*innen dort überhaupt nicht zu finanzieren und eigentlich nur als Anlage interessant ist. Verbunden ist dies in der Regel mit der Umwandlung in Eigentum und sicher auch der Verdrängungsmethode Eigenbedarfskündigung. Denn nur das sichert bei den aktuellen Preisen einen realen Anlageertrag.
Deshalb werden wir in naher Zukunft sicher noch mehr solcher Verkäufe in Bornstedt erleben. Und noch mehr Menschen werden aus ihrem zu Hause verdrängt.

Bornstedt ist längst kein Vorzeigestadtteil mehr – für soziale und nachhaltige Stadtentwicklung stand er eigentlich noch nie.
Inzwischen entwickelt er sich zum Problemstadtteil – für die Menschen, die glaubten, dort ein zu Hause gefunden zu haben.

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