Wir dokumentieren: Die Pressemitteilung der Besetzer*innen
Im Zuge der kurzzeitigen Besetzung der Feuerbachstraße 36 am 19.10.2019 wurden die
Besetzer*innen über Nacht in Gewahrsam genommen und einer erkennungsdienstlichen
Behandlung unterzogen. Da diese Maßnahmen sowie die Umstände derer nicht verhältnismäßig bis
unrechtlich waren, entschied sich die Gruppe, vertreten durch eine Person, Klage einzureichen. Der
Verhandlungstermin ist für den 27.08.2024 um 10.00 Uhr am Landgericht Potsdam, Jägerallee
datiert und wird von einer Kundgebung ab 9:00 Uhr begleitet.
Im Folgenden ein Statement aus der Gruppe der Besetzer*innen:
Zur Besetzung der Feuerbachstraße 36
Am 19.10.2019 wurde das seit vielen Jahren leerstehende und zusehends verfallende Gebäude in
der Feuerbachstraße 36 in Potsdam von unserer Gruppe besetzt. Wir wollten damit auf drängende
Probleme und Schieflagen in der Wohnungspolitik aufmerksam machen, die in der
Landeshauptstadt immer akuter werden. Wohnungsmangel, rekordverdächtig hohe Mieten, Abriss,
spekulativer Leerstand, Rausschmiss, Luxussanierung, Ausverkauf kommunalen Eigentums,
wahnhafte Wiederaufbauprojekte, …, all das ist mittlerweile zum Aushängeschild Potsdams
geworden. Ein Haus wie die Feuerbachstraße 36, besonders unter diesen Umständen, ungenutzt und
spekulativ leer stehen zu lassen ist nicht tragbar. Grundgesetz Artikel 14 sagt: Eigentum
verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Doch auch gegen die einhergehende katastrophale soziale Verdrängung richtete sich die Aktion,
denn die aggressiven kapitalistischen Entwicklungen, auf dem Wohnungsmarkt wie überall, sind
immer noch lebensfeindlich, egoistisch und antidemokratisch. Durch die Verdrängung niedrigerer
Einkommensschichten und dem Verkauf und Vermarktung sozialer und kommunaler Räume und
Flächen werden ganze Straßenzüge und Stadtteile praktisch sozial getötet.
Öffnen wollten wir die Räume in der Feuerbachstraße 36 auch deshalb nicht für uns allein, sondern
für den Kiez, für die Stadt und für die Menschen die versuchen in ihr zu leben. Und Leben, das
muss mehr sein als arbeiten, Miete zahlen, konsumieren. Eine lebendige aktive demokratische
Gesellschaft braucht mehr als das. Es braucht dringend offene Räume für ein Miteinander aller
Generationen, für ein Zusammenkommen, für Ideen, Austausch, Diskussion und Probieren, selbst
gestaltet und unabhängig von Profit. Hier hätte ein solcher Ort entstehen können.
Räumung durch die Polizei
Wie zu erwarten, war der Staat nun wieder überraschend schnell zur Stelle um das noch so
vernachlässigte und rechtswidrig vorenthaltene heilige Privateigentum zu schützen. Dabei war das
Vorgehen der Polizei der Situation unangemessen und politisch repressiv. Das massive Aufgebot der
Polizei auf der Straße, und sogar das Hinzuziehen einer SEK-Einheit, war angesichts der friedlichen
Versammlung von Menschen unverhältnissmäßig. Räumen ohne die nötige Anordnung, Gewalt,
unkoordinierte Absprachen und fehlende oder widersprüchliche Ansagen, erniedrigende Witze der
Polizei während der Räumung vor und im Haus, Schikane während der Untersuchungen wie
Verweigerung von Telefonaten, der Transport von allen Flinta-Besetzer*innen bis nach
Brandenburg an der Havel mitten in der Nacht und dortiges komplettes Entkleiden, die
umfangreichen erkennungsdienstlichen Untersuchungen – all dies werten wir von der Polizei als
politisch motiviert und bewusst repressiv. Wir sehen dies als ein Teil eines systematischen
Polizeiproblems und haben deshalb gegen das Vorgehen der Polizei am Tag der Räumung rechtliche
Schritte eingeleitet. Ob die Mühlen der Gerichts nun bewusst so langsam mahlen oder wegen
schierer Überlastung, nach nun fünf Jahren wird dieser Gegenstand endlich verhandelt. Wir sind
guter Dinge und die Fakten sprechen für uns. Und doch wurde uns auch hier in der Vergangenheit
bewiesen, dass diese vor Gericht sehr dehnbar sein und wenig Bestand haben können, sofern eine
Verurteilung nun mal politisch gewollt oder eben nicht gewollt ist. Wir sind gespannt.
Auch nach fünf Jahren sagen wir Danke für die Unterstützung!
Die Aktion wurde von anderen Aktivistinnen, Politikerinnen aus Potsdam und dem Bundestag
unterstützt. Besonders wertvoll und ermutigend waren jedoch die Gespräche mit Passantinnen und Nachbarinnen, die am Geschehen interessiert waren. Viele freuten sich, dass endlich etwas mit
dem seit langem leerstehenden Haus passiert und waren uns und unseren Motiven gegenüber
wohlwollend eingestellt, brachten selbst viele Ideen zur Gestaltung und Nutzung vor und
bestätigten den Bedarf an solchen Räumen. Vielen Dank an alle Unterstützer*innen, die die
Feuerbachstraße, wenn auch für wenige Stunden mit Gesprächen, Essen und Musik tatsächlich zu
einem lebendigen Kiez verwandelten.
Die Besetzung der Feuerbachstraße 36 war ein Versuch, der, wie so viele davor, mit dem Eingreifen
der Polizei scheiterte, und doch für sich genommen ein Erfolg war.
Nicht nur sahen sich die Besitzerin, eine Erbgemeinschaft in den alten Bundesländern, und die Stadt
durch unsere Aktion genötigt den Leerstand zu rechtfertigen und sich gegenseitig die Schuld
zuzuweisen. Vor kurzem wurde das Gebäude eingerüstet und es wird gebaut.
Auch hat die Aufmerksamkeit, die die Besetzung erfahren hat, geholfen die anscheinenden
Normalzustände und als alternativlos dargestellten Entwicklungen in Frage zu stellen.
Es ist nicht normal, dass die Hälfte des Lohns für die Wohnung drauf geht!
Es ist nicht normal, aus der Wohnung gekündigt und zugunsten besser Verdienender verdrängt zu
werden!
Es ist nicht normal, wenn alles und überall verkauft und privatisiert wird!
GEGEN DEN WEITEREN AUSVERKAUF DER STADT!
SOFORTIGER STOPP DER PRIVATISIERUNG ÖFFENTLICHEN EIGENTUMS!
ANTIKAPITALISTISCHE FREIRÄUME ERKÄMPFEN!
HER MIT DEM SCHÖNEN LEBEN FÜR ALLE!
FH LEBT!
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