Geschwätz von gestern

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Dieses Zitat wird häufig Adenauer zugeschrieben. Es charakterisiert wie kaum ein anderer Ausspruch, die dissoziative Argumentation von Politiker*innen und beschreibt für viele Menschen die Beliebigkeit (auch Verlogenheit) von politischen Versprechen. Adenauer war nicht im letzten Kulturausschuss anwesend. Aber erinnert wurde an ihn, indirekt. Durch die bündnisgrüne Stadtverordnete Saskia Hüneke.

Eine Beobachtung von Oskar Werner.

MAZ und PNN berichteten in den letzten Tages von der Kulturausschusssitzung am 25. April recht ausführlich. Ein Tagesordnungspunkt war die Debatte um das längst abgeschaltete Glockenspiel an der Plantage. Herr Juhnke vom ZZF stellte sein Gutachten vor. Professor Oswalt lieferte die Ergänzungen.

Beide Wissenschaftler stellten klar, wie eng beim Glockenspiel bundesdeutsche Geschichte mit Potsdamer Stadtgeschichte verbunden ist und wie wenig sich Überlegungen zum Wiederaufbau der Garnisonkirche vom Iserlohner Glockenspiel trennen lassen. Anhand von Zeitdokumenten dokumentiert Herr Juhnke in seinem Gutachten die These, dass das in den 1980er Jahren nachgebaute Glockenspiel ein zutiefst westdeutsches, nationalkonservatives Projekt war. Die Akteure kamen aus Politik, Militär und Gesellschaft der Bundesrepublik. Spenden wurden durch Veteranenkameradschaften oder Vertriebenenverbände organisiert. Das Glockenspiel war ein Geschenk an die Stadt Potsdam und sollte als lärmende Erinnerung an und Initialzündung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche dienen. Zur Einweihung kamen 1991 Kaiserenkel, Rechtsradikale Offiziere und viele Gäste nach Potsdam. Hier trafen sie auf arglose Landes- und Kommunalpolitiker*innen. Ahnungslos waren sie nicht. Auch das zeigt das Gutachten. Gewarnt vor den rechtsradikalen Inschriften wurde schon damals. Soweit die Geschichte.

Nach der Abschaltung des Glockenspiels stellten Grüne und Linke den Antrag, dass Geläut einzuschmelzen. Laut PNN* warf Saskia Hüneke die Frage auf „Brauchen wir das Glockenspiel, um uns mit der Geschichte zu beschäftigen?“. Sie verneinte es. Auch weil sie ungern daran erinnert wird, dass sie es als Kulturstadträtin war, die gemeinsam mit ihrem Amtsnachfolger Wieland Eschenburg, das revanchistische Geschenk wohlwollend angenommen haben. Beide würden die Frage „Brauchen wir die Garnisonkirche, um uns mit der Geschichte zu beschäftigen?“ lauthals mit „JA!“ beantworten.

Ich frage mich: Warum sollen wir etwas Bestehendes, Geschichte dokumentierendes, einschmelzen und gleichzeitig etwas verloren Gegangenes extra (für ca. 50 Mio. €) errichten, um uns dem gleichen geschichtlichen Narrativ zu erinnern? Wer den Aussagen der Wissenschaftler zugehört hat, (oder das Gutachten liest) hat erfahren, dass sich Glockenspiel und Garnisonkirche nicht voneinander getrennt betrachten lassen. Es stellt sich somit die Frage: Argumentiert Frau Hüneke nur gespalten (nach dem Geschwätz-Prinzip a la Adenauer), oder steckt dahinter eine andere Dissoziation?

Hier der Link zum Gutachten und zur Übersicht der Glockeninschriften:

* Diskussion über umstrittenes Glockenspiel: „Es kam damals regelrecht über uns“ – Potsdam – PNN

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