Debatte um Plakataktion – CDU ohne Rückgrat

„Rechte Wallfahrtsorte verhindern“, „Rechenzentrum bleibt“ und „Stadt für Alle“ – mit diesen drei Forderungen hatten Potsdamer Aktivist:innen im Dezember letzten Jahres ein Werbeplakat des Hans Otto Theaters ergänzt und format- und stilgerecht eine Abbildung des historischen Handshakes zwischen Hitler und Hindenburg in der Potsdamer Nagelkreuzkapelle im Jahr 1933 montiert. Die Montage bzw. das Adbusting von ungefähr einer Handvoll Plakaten löst vor allem bei der Potsdamer CDU schwerste Impörung aus. Da das Theater die kunstvoll ergänzten Plakate weder abhängen lässt noch gegen die Verursacher zu Felde zieht, sieht sich Kreischef Oliver Nill genötigt, in einem offenen Brief die Förderung des Theaters in Frage zu stellen, Anna Lüdcke und Rainer Dallwig wollen von Intendantin Jahnke eine Entschuldigung hören.

Dazu fällt Jahnke etwas ein: Die CDU wird kurzerhand zur Vorstellung von Sartres „Die schmutzigen Hände“ und zur anschließenden Podiumsdiskussion über die Sorgen und Nöte der CDU mit der Plakataktion und der Haltung des Theaters hierzu eingeladen. Es kommen Lüdcke und Dallwig, mit ihnen diskutieren Hauptdarsteller Sies sowie Intendantin Jahnke (1).

Inhalt der Podiumsdiskussion soll die Debatte um die Kunstfreiheit und die Sprechfähigkeit des Theaters in politischen und gesellschaftlichen Debatten sein. Eingangs wird klar formuliert, dass hier kein Wiederaufrollen der Argumente von Gegnern und Befürwortern der Garnisonkirche stattfinden soll. Doch bereits die ersten Einlassungen der geladenen Gäste verhindern genau das: Unsicher und wage erklärt Lüdcke, als Stadtverordnete sehe sie sich als Vertreterin derjenigen Wähler:innen, die ob der Plakate mit Befindlichkeiten und Befürchtungen zu kämpfen hätten, sich unbehaglich fühlten in ihrer Haut und ohne Stellungnahme und Diskussionsteilnahme der selbst ernannte Volkspartei kein Gehör in der Stadtgesellschaft fänden. Den Betroffenen gegenüber hingen noch immer eine Handvoll gebranntmarkter Plakate. Lüdcke sei heute Abend mit Dallwig angetreten, dieses Ungleichgewicht aufzuwiegen.

Mehrmals kommen Sies und Jahnke auf das Spannungsfeld zwischen den Verfassungswerten der Kunstfreiheit und des so genannten Neutralitätsgebots zu sprechen, es geht um Verhältnismäßigkeit, es geht um das Theater als gesellschaftlichen Akteur. Sie haben es schwer damit. Wieder und wieder wiegeln die beiden CDUler:innen das eigentliche Thema unter Verweis auf die Gemengelage der Gefühle ab. Auch ein kleiner Teil des Publikums trägt zu diesem Umstand bärbeißig bei: Frei nach Austin performt die zweite Reihe ebenjene inneren Wallungen, geräuschvoll, mittels permanenten Zwischenrufen, aufgeregten Stöhnern und zeternden Konjunktionen, dessen Haupt- und Nebensätze mehrheitlich unausgesprochen bleiben müssen, teilweise aber Moderator und Podiumsgäste übertönen: ABER hätte doch die Bildmontage keinen Bezug zum Stück, ABER seien doch die Plakate mit öffentlichen Mitteln gezahlt, ABER sehe man hierin doch keinen künstlerischen Wert. Insbesondere ABER sehe man sich vom Plakat als Nazi beschimpft, die Garnisonkirche gar mit ihrer Rolle in der NS-Zeit in Zusammenhang gesetzt. Inwiefern Begriff und Adressierung aus der Adbusting-Aktion herausgelesen werden, kann vor Aufregung nicht mehr geklärt werden. Und so spielen sich Wiederaufbaubefürworter:innen, Parteigänger:innen und CDU-Podiumsgäste eine Stunde lang die Bälle zu – nur eben am Spielfeld vorbei. Bei Teilnehmer:innen außerhalb der zweiten Reihe mag sich auch die Brust verengt haben, allerdings eher vor Scham über die affektgeladenen Ausbrüche im Publikum und die eher planlos wirkenden Erklärungsversuche der beiden CDUler:innen.

Nun kann niemand von intensivst aufgewühlten Gästen im Publikum eine Einlassung auf die Frage erwarten, wie um alles in der Welt Unionskreischef Nill darauf verfallen konnte, das Theater habe sich aufgrund der Inanspruchnahme einer staatlichen Förderung zur Neutralität im politischen Diskurs verpflichtet und diese Vereinbarung just gebrochen. Schon aber von Lüdcke und Dallwig, die mitnichten lediglich als Vertreter:innen einer Wählerschaft sondern eben auch als Vertreter:innen ihrer Partei auf einem öffentlichen Podium zu Gast sind. Doch genau hier kommt man ins Schlingern. Von Nills Aussage wird sich distanziert, man könnte nicht wissen und sich gar kaum erinnern, wer eigentlich den Brief verfasst habe oder wie ausgerechnet so ein Satz seinen Weg in die Stellungnahme gefunden habe. Kurz und gut: man könne ja nichts dafür und wolle doch nur eine Entschuldigung als Bedingung für die ausstehende Versöhnung, mehr nicht. Das Raunen und Zetern der emotionsdarstellenden Künstler:innen aus der zweiten Reihe bewahrt Dallwig und Lüdcke davor, hier wirklich einzustehen und ebenso davor, irgendeine inhaltlich profunde Aussage zu Wege bringen zu müssen. Man lehnt sich gelassen zurück.

Doch trifft Sies mit seiner Nachfrage, ob es sich hier nicht um Mittel eines rechten Kulturkampfes handeln könnte, den Nagel auf den Kopf. Denn seit Jahren bemüht sich die AfD nicht nur im Brandenburger Flächenland darum, Jugend- und Kultureinrichtungen unter Verweis auf ein angebliches Neutralitätsgebot um ihre Fördermittel zu bringen. Das tut sie professionell, stets und ständig und auf eine Weise, die kleine und größere Vereine als auch Landes- und Kreisverwaltungen unter enormen Druck setzen. Sies dürfte die jahrelange Debatte als auch den Kampf der Kultureinrichtungen um ihre Existenzgrundlage gezwungenermaßen verfolgt haben. Was Sies und Jahnke auch wissen dürften: AfD und in diesem Fall eben auch die CDU verdrehen und Überdehnen in ihren Angriffen das vermeintliche Neutralitätsgebot. Dies besagt im Kern, dass Akteure, die staatliche Förderungen beziehen, natürlich keine parteipolitischen Linien verfolgen oder Vertreter:innen einzelner Parteien gegenüber der anderer übervorteilen dürfen. In keiner Weise bestehen Gesetze oder gar Verbote für Kultureinrichtungen, in politischen oder gesellschaftlichen Debatten eine Haltung oder eine Position zu vertreten oder eben: auf Aktivismus zu reagieren. Dallwig und Lüdcke reagieren auf Sies Nachfragen und Jahnkes Erläuterungen scheinbar unvorbereitet und naiv – in Wirklichkeit ignorieren sie schlicht, in welcher Debatte sie sich eigentlich gerade befinden. Dallwig setzt gar noch eins oben drauf als er behauptet, Wähler:innen hätten nach der Plakataktion Angst, man würde sie nun „jagen“. Doch was Dallwig hier aufgreift ist ausgerechnet ein Ausspruch Alexander Gaulands aus dem Wahlkampfjahr 2017, der sein „wir werden sie jagen“ auf die von Angela Merkel geführte Regierung aus CDU und SPD bezog. Gaulands Auspruch hatte für viele aus der rechten Szene den Charakter einer Handlungsaufforderung und rechte Angriffe auf linke, sozialdemokratische aber auch konservative Lokalpolitiker:innen nehmen bekanntermaßen seit Jahren drastisch zu. So trifft auch Sies Einwand, CDU und die diffuse Menge derer, die hier vertreten werden solle, setzten sich in eine Opferrolle. Dies stimmt zumindest beinahe, denn Dallwig spielt hier mit dem Motiv der Täter-Opfer-Umkehr, indem er an das Gaulandzitat erinnert und somit erneut an eine bewährte Methode des Kulturkampfes von rechts anknüpft. In der Realität gab es weder Drohungen gegen Menschen noch sind nach der Plakataktion Tote und Verletzte zu beklagen.Im Verlaufe der 30jährigen städtischen Debatte allerdings sind durchaus konkrete Drohungen gegen Leib und Leben linker Aktivist:innen zu verzeichnen, wie Lutz Boede (Wähler:innengruppe DIE aNDERE) später am Publikumsmikro erklärt.

Auch Lüdcke gelingt es nicht, hier noch die Kurve zu kriegen, als sie Intendantin, Künstler und Publikum  empfiehlt, sich wenn dann doch an den „richtigen“ politischen Debatten zu beteiligen und Stellung zu beziehen. Aktivismus sei hiervon ausgenommen und allein deswegen hätte sich das Theater keinesfalls zu den Plakaten positionieren dürfen. Eine ulkige Ansicht bedenkt man, dass es gerade Aktivist:innen zu verdanken ist, dass die Taktik der AfD, Kultur- und Jugendeinrichtung auf die oben beschriebene Weise anzugreifen, offen gelegt wurde und Einrichtungen in die Lage versetzt wurden, sich juristisch diskursiv zu wehren. Auf dieser Grundlage konnte das Hans Otto Theater selbstbewusst zum Diskussionsabend einladen.

Selbst das erneute Bemühen um sachliche Argumente wurde ein um das andere Mal zum Bumerang für die CDU-Vertreter:innen. So bezog sich die CDU auf angebliche Steuermittelverschwendung, weil die aus Fördermitteln bezahlten Plakate sachfremd gekapert worden seien. Die Leitung des Theaters hätte dies im Sinne der Mittelverwendung verhindern müssen. Knackige Zwischenrufe aus dem Publikum zum Ausmaß der Steuermittelver(sch)wendung der Garnisonkirche lassen diesen Punkt in einem lachenden Saal verhallen. Ob im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit für das Theater die Plakate nicht sogar zu einer Aufwertung als Diskursraum beigetragen haben, blieb als offener Punkt im Raum stehen.

Am Ende bleibt Lüdcke nur noch der hilflose Verweis auf eine allgemein aufgeheizte politische Debatte, auf problematische Hass- und Hetzkampagnen im Netz. Doch der schlägt doppelt fehlt – hat doch erst die CDU mit ihrem Brief zur Kampagnenartigkeit des Vorfalls beigetragen und sind doch auf dem (analogen!) Plakat weder Verunglimpfungen noch Adressierungen zu lesen. Vielmehr war es der Brief der CDU und das aufgeregte Umhergetwitter von Lüdtke und Dallwig, die hier polarisieren, die Gemüter erhitzen und offenbar auch inhaltlich aufs Glatteis führen, wie die Wortbeiträge aus der zweiten Reihe belegen.

Selbstverständlich bedient sich die CDU hier Mitteln des rechten Kulturkampfes. Nur war Nill weniger professionell und aggressiv am Werk als die AfD. Es ist ihm schlicht nicht gelungen. Schlimmer aber noch ist die Naivität und die Rückgradlosigkeit, die Lüdcke und Dallwig so arglos zur Schau stellen. Ihre offenkundig schlechte Vorbereitung und das Fehlen jeder Position zum eigentlichen Kern der Debatte lässt letztlich auch die Erzählung von Zuschriften und Anrufen empörter Wähler:innen unglaubwürdig erscheinen. Selbst die lautstarke zweite Reihe liefert keinen Beweis dafür: In mehreren Wortbeiträgen geriert man sich hier zusammen mit der CDU als Streitkraft für Demokratie und Rechtsstaat, übersieht dabei aber den Werkzeugkasten antidemokratischer Mittel, derer sich – bei der AfD abgeguckt – die CDU selbst bedient und deren Wirkung Wiederaufbaufreund:innen hier am Ende blind aufgesessen sind.


(1) Siehe auch Tagesspiegel „Streit um Plakataktion“ und sowie „Debatte nach Aktion gegen Garnisonkirche

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