Häufig wird dieser Tage auf den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze und sein Unheil hingewiesen. Ungern wird hingegen vom deutschen Schießbefehl von 1904 gesprochen, der zu einem Völkermord führte. Wir erinnern daran. Vor 120 Jahren begannen deutsche Truppen im heutigen Namibia den Aufstand der Volksgruppe der Herero brutal nieder zu schlagen. Am 2. Oktober 1904 kündigte Generalleutnant Lothar von Trotha die Ermordung jedes Herero an, der innerhalb der Grenzen Deutsch-Südwestafrikas angetroffen werde. Dem Schießbefehl, der auch als „Vernichtungsbefehl“ den Auftakt für einen Völkermord gab, wird nur wenig in Deutschland gedacht.
Die Kolonie Deutsch-Südwestafrika wurde von 1884 bis 1915 vom Deutschen Kaiserreich beherrscht. 1904 erhoben sich die Herero gegen die Deutschen. In dem bis 1908 andauernden Krieg starben nach Schätzungen rund 65.000 Herero und 10.000 Menschen aus der Volksgruppe der Nama. Erst 2021 erkannte die Bundesrepublik die Verbrechen deutscher Soldaten als Völkermord an.
Befehlshaber des Kaisers Wilhelm II in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika war Lothar von Trotha. Trotha trat am 1865 in das Garde-Regiment zu Fuß der Preußischen Armee ein und lernte in Potsdam, im Schatten der Garnisonkirche, sein Kriegshandwerk. Im kolonialen Streben Preußens wurde im August 1900 Trotha während des Boxeraufstands das Kommando der 1. Ostasiatischen Infanterie-Brigade übertragen. Wenige Jahre nach seiner Rückkehr aus China wurde Trotha zum Oberbefehlshaber und Gouverneur von Deutsch-Südwest-Afrika ernannt. Sein Auftrag lautete, den Aufstand der Herero niederzuschlagen.
Von Trotha erlässt am 02. Oktober 1904 folgenden Schießbefehl, welcher später als Vernichtungs- oder Genozidbefehl bekannt gewordenen ist, der mit einer Nachricht an die Herero beginnt:
„Ich der große General der Deutschen Soldaten sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr (Kanone) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück, oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers“
Am 9. Dezember 1904 musste der Befehl auf Einwirkung des Kaisers zurückgenommen werden. Das hinderte Lothar von Trotha allerdings nicht daran, am 25. April 1905 einen ähnlichen Befehl gegen die Nama zu erlassen. Auch mit den Völkern der San und Damara wurde ähnlich verfahren.
120 Jahre später hat der deutsche Kolonialismus eine neue Form angenommen.
Auf der Halbinsel am Stadtrand von Lüderitz im Süden Namibias stand einst das erste deutsche Konzentrationslager. Hier wurden während des Völkermords (1904 – 1908) unter deutscher Kolonialherrschaft Schätzungen zufolge bis zu 4.000 Menschen der Volksgruppen Nama und Ovaherero brutal getötet. Insgesamt fünf Konzentrationslager wurde von den Preußischen Truppen im Kolonialgebiet betrieben. Shark Island bei Lüderitz war eins davon.
Die Bucht von Lüderitz soll, wenn es nach der „wertegeleiteten grünen Außen- und Wirtschaftspolitik“ geht, ein Hub für die globale Produktion von grünem Wasserstoff werden. Auf einem Gebiet von 15.000 Hektar im angrenzenden Tsau-/Khaeb-Nationalpark will die Firma Hyphen (mit deutscher Beteiligung) rund 6.000 Hektar Solaranlagen und 600 Windturbinen zum Einspeisen in eine massive Entsalzungs- und Elektrolyseanlage aufstellen. Nach Produktionsstart 2028 soll die Anlage ab 2030 jährlich zwei Millionen Tonnen grünen Wasserstoff herstellen. Die Bundesregierung hat ihre Absicht erklärt, das Zehn-Milliarden-Dollar-Projekt als „strategisches Auslandsprojekt“ einzustufen und hofft, große Mengen davon in Form von Ammoniak im Rahmen einer „Klima- und Energiekooperation“ mit Namibia zu importieren. Der Region bleiben horrende Mengen von Salzlauge die in die Umwelt geleitet werden muss.
„Das internationale Forschungskollektiv Forensic Architecture hat in Zusammenarbeit mit forensischen Archäologen der Staffordshire Universität eine digitale Raumanalyse des ehemaligen Konzentrationslagers erstellt und neue Beweise für die Völkermordverbrechen gefunden. Die vor wenigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse legen nahe, dass Überreste der KZ-Opfer nicht nur in unmarkierten Massengräbern auf der Halbinsel, sondern auch auf dem Meeresboden um die Insel liegen könnten.
Der Aus- und Neubau (der Hafentechnik zum Wasserstofftransport, A.d.R) berge ein „unmittelbares Risiko“, die „Insel als Ort von historischer Bedeutung. irreversibel zu entweihen“, heißt es in dem Bericht. Zudem werde Hafenlärm die Gedenkstätte nachhaltig beeinträchtigen. „Unsere Recherchen legen nahe, dass mindestens eine Begräbnisstätte ehemaliger Insassen von Shark Island mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Infrastrukturpfad liegt, der letztendlich dem Grünen-Wasserstoff-Projekt dienen wird“, schreiben die Forscher.“ [1]
Wir müssen abwägen, was wichtiger ist: unseren Energiehunger unbegrenzt weiter zu stillen und Natur sowie Gedenkorte – auch im Ausland – zu zerstören, oder unsere Hausaufgaben in Bezug auf Geschichtsaufarbeitung und Energieeffizienz hier, im eigenen Land, zu machen. Somit könnten wir auch den Menschen in Namibia eine eigenständig gestaltete, unabhängige Zukunft ermöglichen.
[1] Tagesspiegel 09.09.2024; „Wasserstoffprojekt in Namibia könnte KZ-Gedenkstätte schaden“ von Kristin Palitza
Mehr zum Völkermord an den Herero und Nama und die ersten Konzentrationslager hier: https://en.gariwo.net/education/insights/herero-and-nama-genocide-21602.html
P.S. Am „Tag von Potsdam“ dem 21.März 1933 wurde parallel zum Spektakel in der Garnisonkirche Potsdam das erste deutsche Konzentrationslager in der Zeit des Nationalsozialismus eröffnet. Es wurde durch die Sturmabteilung (SA) auf einem ehemaligen Brauereigelände in der Stadt Oranienburg eingerichtet. Die ersten Häftlinge waren vierzig Kommunisten die dort misshandelt wurden.
Carsten Linke