Dass „Mitteschön!“ die Potsdamer Mitte mit barocken Figuren, albernen Putten und alten Denkmälern vollstellen will, ist nicht neu. Auch nicht, dass sie nicht darüber nachdenken, was welche Figur bedeutet und wie eine Aufstellung oder Umsetzung heute wirkt. Hauptsache alt und preußisch geprägt. Ganz die Antithese zum alten Honecker. „Vorwärts nimmer – rückwärts immer“. Aktuell soll die Steuben-Denkmalkopie von 1994 die Location wechseln.
Das Steuben nicht nur in seiner Geburtsstadt Magdeburg ein Denkmal bekommen hat ist ok. Er hatte zwar nie wirklich etwas mit Potsdam zu tun, aber er gilt als „Paradebeispiel“ für die Integration homosexueller Männer in die amerikanische Armee. Steuben errang in seiner zweiten Karriere als US-amerikanischer General Berühmtheit. Er war es, der die Kontinentalarmee erneuerte und zum Helden des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges unter Oberbefehl George Washingtons wurde.
Sein Name wird in den USA bis heute für ein Trachtenfest missbraucht, welches die deutschstämmige Bevölkerung seit 1957 in Paradeform in New York alljährlich veranstaltet. Eigentlich kann Steuben einem leid tun. Erst der Mistbrauch mit dem Denkmal 1911, ausgerechnet in der Stadt, aus der Friedrich der Große ihn vertrieben hat und dann noch eine derartige Kostümparade.
Die Frage: „Warum soll Steuben auf den Steubenplatz, oder auch nicht?“ ist heutzutage die falsche Frage. „Warum heißt die Wiese neben dem Landtag Steubenplatz, und ist dies noch zeitgemäß?“ ist aus unserer Sicht die richtige Frage.
Das Steubendenkmal kam 1911 nach Potsdam. Als Beleg der militärischen Verbundenheit. In den Jahren zuvor hatten die USA, das Deutsche Kaiserreich, England, Russland u.a. ihr imperialen Kriegsgelüste in China ausgelebt (Niederschlagung des sogenannten Boxeraufstandes). Im Ergebnis wurde ein preußischer Offizier (v. Waldersee) Stadthalter der von den Amerikanern besetzten Region in und um Peking. Der Einfluss endete dort 1911. Sie zogen sich zurück. Zeitgleich war die zweite Marokkokrise auf ihrem Höhepunkt. Mit der „deutsch-amerikanischen Freundschaft“ wurde signalisiert, dass das Deutsche Reich die Annexion Marokkos durch Frankreich nicht kommentarlos hinnehmen wird. Als Aufstellungstag für das Steubendenkmal wurde der Sedan-Tag (2.September) ausgewählt. Dieser Tag erinnerte an den deutschen Sieg über Frankreich 1870. Als Standort wurde die Fläche vor der Kommandantur der Stadt gewählt. Alles Zeichen der deutschen „Großmacht“ und der Feindschaft zu Frankreich. Das Alles wenige Jahre bevor in Potsdam 1914 der Befehl für den 1. Weltkrieg erging.
Die erneute Namensgebung für den „Steubenplatz“ erfolgt im März 2015, zur Hochzeit der Re-Barockisierung und Restrukturierung der Stadt. Beim „Rückwärts immer“ der auch die Stadt lange Zeit verfallen war, wurden geschichtliche Bezüge verdrängt und der Beschluss von 1990 hochgehalten. Der Beschluss, der bekanntlich den historischen Grundriss der Innenstadt wieder ermöglichen sollte. Zu dieser Zeit stimmt die Stadtverordnetenversammlung auch für den Abriss der Fachhochschule, des Staudenhofgebäudes und des Hotel Mercure. Namensänderungen begleiten den geschichtsrevisionistischen Abrissprozess. Im Antrag der Stadtverwaltung für den Steubenplatz (Einbringer Beigeordneter Klipp) heißt es „Nachdem im Jahr 2009 die Humboldtstraße und im Jahr 2014 die Brauereistraße wieder ihre alten Straßennamen sowie Straßenverläufe erhalten haben, bleibt nur noch die Wiederbenennung des ehem. Steubenplatzes, um die ehem. Stadtbildprägenden Straßenbeziehungen in der Potsdamer Mitte und um den Landtag herum nach historischem Vorbild wiederaufleben zu lassen.“ Eine völlig unsinnige bzw. unschlüssige Begründung, denn die wesentlichen Bezugspunkte des Denkmals und „seines Platzes“ existieren überhaupt nicht mehr. Weder das Denkmal des Soldatenkönigs vis a vis, noch die Soldatenbrücke mit all ihrem Brimborium (heute Lange Brücke), noch das Schloss als Symbol des Preußischen Einflusses im Kaiserreich. Heute steht dort ein Landtag, der darauf hinweist, dass er kein Schloss ist.
Die historischen Bezüge von vor 1945 kennen wohl die wenigsten PotsdamerInnen. Sicherlich auch, weil sie wenig mit der kargen Wiese am Landtag und Steuben verbinden. Der Ort ist aktuell belanglos, aber nicht bedeutungslos.
Am 16. März 1920 kam es dort zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen, die in Potsdam Tote und Verletzte forderte. Es war die Zeit des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Generalmajor von der Hardt als Garnisonkommandeur erließ am Tag zuvor ein Versammlungsverbot als öffentliche Bekanntmachung. Doch tags darauf zogen dennoch mehr als tausend Demonstrierende Richtung Stadtschloss, um sich dem Generalstreik anzuschließen. Als immer mehr Menschen zum Stadtschloss drängten, eskalierte die Situation. Wachtruppen eröffneten das Feuer auf die Demonstrierenden. Dabei kamen vier junge Menschen ums Leben: die 19-jährige Helene Bürger, der 24-jährige Schuhmacher Oskar Heinrich, der 27-jährige Maurer August Fröhle und der 26-jährige Klempner Fritz Wilhelm Hagemeister.
Nach dem Ende des Putsches gedachten die Stadtverordneten in ihrer Sitzung am 31. März 1920 der Toten und ihrer Familien. Ein Gedenkstein zu Ehren der Toten wurde allerdings von der bürgerlichen Mehrheit im Stadtparlament abgelehnt. Bis heute gibt es keine ernsthafte Würdigung der Opfer. Kurzzeitig gab es 2020/2021 eine nüchterne, fast blamable Tafel auf dem Steubenplatz, die im Zuge der benachbarten Bauarbeit verlustig ging.
Christian Perseke schrieb in seinem Gutachten 2020: „Eine Würdigung der Opfer des Putsches in Potsdam ist zu empfehlen. Gewalt gegen unbewaffnete Zivilisten, die auch noch ungeahndet blieb, sollte nicht dem Vergessen anheimfallen. Eine besonders revolutionäre Stadt ist Potsdam nie gewesen, insofern ist das beschriebene Ereignis eine Besonderheit in der Stadtgeschichte.“
Perseke faste zusammen: „Der Kapp-Lüttwitz-Putsch als konterrevolutionärer Umsturzversuch der Weimarer Republik vom 13. März 1920 scheiterte schon nach vier Tagen durch den Generalstreik der gesamtdeutschen Arbeiterschaft. Etwa 1500 Menschen verloren während dieser Tage ihr Leben im Zuge von Kampfhandlungen. In Potsdam wurden am 16. März 1920 bei einer Demonstration, die vom Luisenplatz kam, vier Potsdamer Bürger durch die Schlosswache erschossen und 11 verletzt. Keiner der Verantwortlichen ist dafür je zur Rechenschaft gezogen worden.“
Eines der Todesopfer ist die 19-jährige Helene Bürger. Sie wurde wie ihre Mitstreiter letztendlich von den reaktionären Kräften erschossen, die noch neun Jahre zuvor das Steubendenkmal bejubelten, auf eine goldige Zukunft des Deutschen Kaiserreiches hofften und endlich die Weimarer Republik zu Fall bringen wollten.
Helene Bürger hat, im Gegensatz zu Steuben, hier in Potsdam für die Demokratie gekämpft und ihr Leben gelassen. Der Ort ihrer Ermordung ist der Steubenplatz neben dem Landtag. Dieser neu zu gestaltende Platz sollte den Namen „Helene-Bürger-Platz“ erhalten. Ganz im Kotext mit den neuen Namen für das benachbarte Wohnquartier. Auch hier hat die Stadtverordnetenversammlung nicht auf die alten Straßennamen zurückgegriffen und Kaiser, Schloss und Waffenschmieden (Schwertfeger) gedacht, sondern Frauen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise für Potsdam, für Demokratie und Verständigung eingesetzt haben: Erika Wolf, Anna Flügge und Anna Zielenziger.
Auf einem neu gestalteten Helene-Bürger-Platz kann dann auch in angemessener Form an den Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch von 1920 gedacht werden. Und an die weiteren Opfer. Das wäre sicherlich auch dem aufgeklärten Friedrich Wilhelm von Steuben lieber, als von „Mitteschön!“ fürs Ambiente missbraucht zu werden.
C.L.