Unter falscher Flagge

Seit fast einem Jahr recherchieren und berichten wir zu den Kämpfen um die studentische Selbstverwaltung und ihre Freiräume in Potsdam. In einer Stadt mit über 30.000 Studierenden in Relation zu nur 187.000 Einwohner*innen ist dies eine für die Stadtentwicklung wichtige Frage.
Wir haben dazu eine große, viel beachtete Hintergrundrecherche veröffentlicht und öffentlich deutlich gemacht, dass die Angriffe auf das studentische Kulturzentrum [KuZe], die AStA – Beschäftigten und andere Freiräume wie das Freiland und das Archiv Teil eines rechten Kulturkampf sind. Wir haben dafür einen Beitrag geleistet, dass die wesentlichen Akteure wie Leo Radloff und Zoe Caspary zurückgetreten sind und die Verknüpfungen von privaten wirtschaftlichen Interessen, politischen Karriereambitionen und der Versuch einer Übernahme der studentischen Selbstverwaltung von rechts öffentlich wurden.
Dafür haben wir eng mit der studentischen Initiative AStAretten zusammen gearbeitet. Diese Initiative hat keine Rechtsform und ist auch keiner spezifischen Partei nahe, sondern hier haben sich Studierende engagiert, die sich Sorgen um den Fortbestand der studentischen Selbstverwaltung machten und aktiv werden wollten.

Nun stehen Neuwahlen an – für das Studierendenparlament (Stupa) und den Senat der Uni Potsdam – endlich ein Neuanfang. Um so überraschter waren wir, als wir erfahren haben, welche Listen alles kandidieren.
Darunter eine Liste: AStAretten. Leider hielt unsere Freude nicht lange. Hinter diesen Listen – so unsere Recherche – steckt ein Fake – Projekt des RCDS (Ring Christlicher Demokratischer Studenten), dessen Vertreter einen großen Anteil an den Angriffen auf die Selbstverwaltung und an den Kündigungen der Mitarbeitenden im [KuZe] hatten.

Hier ist die ganze Geschichte.

In den letzten Tagen ging Wahlkampf für die Studierendenparlamentswahlen sowie die Wahlen für studentische Vertreterinnen im Senat der Uni Potsdam in die heiße Phase. Dabei wurden auch die Namen der Listen und Kandidaturen für die Wahlen zum Senat und Studierendenparlament hochschulintern veröffentlicht. Darunter gibt es eben diese Liste mit dem Namen „AStAretten“.
Also genau namensgleich der Initiative, in der sich in den letzten Monaten viele aktive Studierende organisiert hatten, um Widerstand gegen die Auflösungsversuche der bestehenden studentische Selbstverwaltung an der Uni Potsdam zu organisieren – also auch derjenigen, welche den Betrieb des [KuZe] aufrecht erhalten haben, die Arbeitskämpfe organisiert und durch Öffentlichkeitsarbeit auf den rechten Kulturkampf an der Universität Potsdam hingewiesen haben.
Wir waren verwundert – immerhin war das Ziel von AStAretten nie, Hochschulpolitik in Form einer wählbaren Liste zu machen. Also haben wir nachgefragt – und siehe da: Weder die Menschen noch die Ideen von AStAretten finden sich auf der nach ihnen benannten Liste wieder.

Wer versteckt sich dann hinter diesem in studentischen Kreisen inzwischen berühmten Namen?


Ein Blick in die bereits bekannten Kandidatennamen für die Wahl für studentische Vertreter*innen im Senat der Universität Potsdam bringt Aufschluss. Auf der „AStAretten“-Liste stehen unter anderem Oskar Wiesatzki und Jonas Kolecki. Oskar Wiesatzki sitzt zur Zeit für den RCDS im Studierendenparlament gemeinsam mit M.A. Arntz. Oskar Wiesatzki ist weiterhin im Vorstand des RCDS Potsdam (https://www.rcds-potsdam.de/der-vorstand/) gemeinsam mit dem noch AStA-Referenten für Öffentlichkeit, Danylo Poliluev-Schmidt und ist Kreistagsabgeordneter für die CDU im Kreistag Potsdam-Mittelmark (https://www.cdu-beelitz.de/Kreistag-Potsdam-Mittelmark_p_61.html ). In diesem ist er stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Verwaltungsentwicklung, Personal und Digitalisierung. Nicht zuletzt ist er Vorsitzender des AK Inneres der JU Brandenburg (https://www.jubrandenburg.de/vorstand/ ). Recht deutlich zu erkennen ist Oskar Wiesatzki sehr gut an und in die CDU angebunden und dort auch sehr aktiv.

Ähnliches ist bei Jonas Kolecki zu erkennen. Bereits seit mehreren Jahren ist er als Werkstudent bei Paul Ziemiak beschäftigt (Mitglied des Bundestages für die CDU), war bei der CDU-Fraktion im Bundestag angestellt, ist Ehrenvorsitzender des RCDS Nordost, Vorsitzender des RCDS Potsdam und war kooptierter Landesvorstand des CDU Landesverbands Brandenburg.
Während die Liste für die Wahlen zum Senat bereits einige Tage bekannt sind, hüllte sich der Wahlausschuss bei den Listenkandidaten für das Studierendenparlament in Schweigen.
„Nicht zur Veröffentlichung freigegeben“ heißt es da noch bis gestern. Inzwischen kennen wir aber auch diese Listen und die entsprechenden Kandidierenden.


Und da wird deutlich: Die selben Personen treten auch für das Studierendenparlament an, ergänzt durch einen Julian Liebe.

Es ist nicht verwerflich, für eine Partei aktiv zu sein oder sich für die Wahl zum Studierendenparlament oder Senat aufstellen zu lassen. Verwerflich ist jedoch der wiederholte Versuch der Wählendentäuschung. Mit der Entscheidung, eine neue Liste AStAretten zu nennen versuchen die RCDSler vermutlich Stimmen von Studierenden zu gewinnen, welche nicht gut informiert sind und den Zielen von AStAretten folgen. Die personelle Besetzung der neu gegründeten Liste deutet dabei jedoch eher deutlich auf politisch entgegengesetzte Ziele hin.

Und ja, das ist leider nicht das erste Mal.
Bereits 2022 kandidierte Oskar Wiesatzki für eine „Migrantisch – Grüne Liste“. Wiesatzki ließ Nachfragen seitens der SpeakUP 2023 unbeantwortet, weshalb die SpeakUP bereits damals vermutete, dass es sich „sogar um eine Art „Troll-Liste“ handeln könnte“. Ob bewusste Wählendentäuschung oder Trollen nun die bessere Antwort auf die Frage, weshalb die neue Liste unbedingt AStAretten heißen muss, ist, ist jeder Person selbst überlassen.


Der Artikel der SpeakUP dazu ist tatsächlich lesenswert – insbesondere die Betrachtung der Teilnahmen an Sitzungen des StuPa der verschiedenen Listen. Nach unserer rein subjektiven Beobachtung setzte sich dieser Trend im vergangenen Jahr fort.
https://speakup.to/stupa-wahl-2023-die-listen

Der RCDS wirbt derweil mit „mehr (repräsentative) Demokratie wagen“ „Verfassungsfeinde raus aus StuPa und AStA – Wir wollen die Pflicht zum Verfassungseid“ und „Für eine ideologiefreie und transparente Politik“. Wie genau diese Punkte einzeln mit dem vermeintlichen Versuch der Wählendentäuschung, einem inhärent antidemokratischen Akt einhergehen könnte vermutlich nur der Wiederholungstäter Oskar Wiesatzki argumentieren – oder auch nicht, vielleicht gibt es da keine Erklärung. Uns fällt jedenfalls keine Sichtweise ein, wie Wählendenbetrug nicht antidemokratisch sein sollte.

Inzwischen gibt es massive Beschwerden – u.a. wenden sich Studierende an den Studentischen Wahlausschuss. Uns liegen sowohl die Beschwerden als auch die Antworten vor.
Wir dokumentieren sie:

Sehr geehrter studentischer Wahlausschuss,

ich möchte eine offizielle Beschwerde gegen den Namen der Liste ‚AStAretten‘ einlegen. Ich vermute hier einen Täuschungsversuch wider der Studierendenschaft, da der Name ‚AStAretten‘ eindeutig mit dem Kollektiv ‚AStAretten‘ in Verbindung gebracht wird, die unter diesem Namen antretenden Kandidaturen jedoch zu dieser Gruppierung keinerlei Bezug haben (und im Gegenteil sogar in der Vergangenheit durch gegensätzliche Positionen bekannt wurden). Die Assoziation des Namens ‚AStAretten‘ mit bestimmten politischen Positionen geht auch nachweislich über den Aktivenkreis des Kollektivs hinaus, so wurde z.B. in mehrfachen Nachrichtenartikeln dieser Begriff als Eigenname verwendet.

Um eine Irreführung der Studierendenschaft zu vermeiden, erbitte ich eine Umbenennung der Liste, wenigstens aber eine öffentliche Klarstellung seitens des Wahlausschusses, das kein inhaltlicher Zusammenhang zwischen genannter Liste und der Initiative ‚AStAretten‘ besteht. Aus den oben genannten Gründen kann eine Stellungsname seitens des Kollektivs ‚AStAretten‘ nicht zur Klarstellung genügen, da die Reichweite des Namens durch sekundäre Verwendung seitens der Medien und anderer Akteure über die Reichweite des Kollektiv hinausgeht.
Ich bitte um zeitnahe Stellungnahme.

Und die Antwort:

Guten Tag,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Der Studentische Wahlausschuss (StWA) hat Ihr Anliegen zur Kenntnis genommen und beantwortet Ihre Anfrage wie folgt:

Die Wahlliste „AStAretten“ ist durch den StWA zur Wahl zugelassen worden. Dies erfolgte aufgrund der frist- und formgerechten Einreichung der Wahlliste und Kandidaturen gemäß § 14 (1) und (2) der Rahmenwahlordnung der Studierendenschaft. Auch gegen § 14 (3) der Rahmenwahlordnung der Studierendenschaft ist nach Ansicht des Studentischen Wahlausschusses nicht verstoßen worden, sodass dadurch eine Zurückweisung gerechtfertigt werden könnte. Für eine nachträgliche Umbenennung einer antretenden Wahlliste sieht der StWA keine rechtliche Grundlage.

Die von Ihnen hervorgebrachten möglichen Verbindungen von einzelnen Mitgliedern der Wahlliste zu anderen politischen Organisationen, anderen Wahllisten oder anderen politischen Gesinnungen können die von Ihnen geforderten Maßnahmen nicht begründen. Der StWA wird diese Maßnahmen daher auch nicht ergreifen.

Für Rückfragen steht der Studentische Wahlausschuss gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
(Name entfernt – Redaktion)


Auch die Initiative AStAretten selbst hat sich mittlerweile mit einer ähnlichen Mail an den StWA gewendet und eine quasi fast wortgleiche Antwort erhalten.
Dazu sollten wir aber wissen:
Erstens gibt es einen recht klaren Paragrafen in der Rahmenwahlordnung, der folgendes besagt:
„§ 14 (3) 2.:
Jede Wahlliste soll eine eindeutige Bezeichnung oder ein Kennwort enthalten. Das Kennwort darf keine […] zu Verwechslung führenden Begriffe enthalten.“

Zweitens besteht der aktuelle Wahlausschuss wegen diverser Rücktritte nur noch aus vier Menschen, von denen drei bei der letzten Sitzung anwesend waren. Wir finden es kritisch, dass so wenige Menschen entscheiden, welche Listen zugelassen werden und dabei, unserer Ansicht nach, scheinbar ihre Rahmenwahlordnung mindestens merkwürdig auslegen, eher aber ignorieren.
Vollkommen intransparent und undemokratisch wird es, da Fachschaftsräte nicht über diese Tarnlisten aufklären dürfen. Begründung: Sie dürften keine Wahlwerbung für oder gegen eine Liste machen. Hier kam es bereits vor, dass unter derselben Begründung dem FSR Slavistik verboten wurde für eine Veranstaltung zu werben, welche u.a. von Listen mitorganisiert wurde. (Das ist übrigens derselbe FSR, dem durch Leo Radloff ohne Begründung Gelder gesperrt hatte.) In allen diesen Fällen wurde durch die Rechtsaufsicht der Universität nicht gehandelt.

Was bedeutet dies?
Der Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) versucht zum wiederholten Male mit Tarn – und Fakelisten Einfluss auf die studentische Mitbestimmung zu nehmen, während sie offiziell für mehr Demokratie und Transparenz werben.
Das ist natürlich ein klassischer rechter Kulturkampf – mindestens kulturelle Aneignung. Begriffe, Codes, Symbole der vermeintlich „linken, alternativen“ Szene verwenden und sie mit anderen Inhalten füllen. Das könnte fast aus einem Wörterbuch für eben solchen rechten Kulturkampf stammen.
Wir erinnern daran, dass der RCDS der Uni Potsdam – mit maßgeblicher Unterstützung der CDU – und Rechtsaußenpolitikerin Saskia Ludwig den Feldzug gegen die studentische Selbstverwaltung an der Uni mitgetragen und unterstützt hat.

Mit einer Liste „AstAretten“ – versuchen sie Studierenden, die die intensive gesellschaftliche Debatte in Potsdam mitbekommen haben und die mit den Ideen dieser Initiative sympathisieren, vermutlich bewusst zu einer falschen Stimmenabgabe zu manipulieren. Das ist antidemokratisch, unmoralisch und leider gleichzeitig stellvertretend dafür, wir ernst bestimmte politische Richtungen das Recht auf politische Selbstbestimmung der Studierendenschaften in Deutschland nehmen.

Das zusätzlich aber weder die Leitung der Uni Potsdam, noch der Wahlausschuss eingreifen, ist ein Skandal. Es zeigt aber auch, wohin sich Gremien der Uni Potsdam inzwischen politisch bewegt haben – und wie viel Aufklärungsarbeit es eigentlich noch braucht.

Für alle Studierenden und andere interessierte Menschen aber hier der klare Aufruf:
Verbreitet die Infos, klärt auf, fragt nach.

Rechte Fakelisten sind keine Alternative.
Nur wo AstAretten drin ist, wird der AStA auch gerettet – im Notfall eben vor sich selbst.

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2 Kommentare

  1. Finde die Aktion vom RCDS geht gar nicht und ich bin sehr froh, dass ihr hierüber aufklärt. Ich würde mir aber einen neutraleren Umgang mit dem StWA wünschen.

    1) Die Kandidierenden dürfen nach einer Entscheidung der Rechtsaufsicht nicht im Internet veröffentlicht werden. Die schnellstmögliche Veröffentlichung auf der StWA-Website betrifft nur jene Kandidierenden, die dieser Veröffentlichung zugestimmt haben. Für die offizielle hochschulöffentliche Bekanntgabe ist der StWA auf Dritte angewiesen, weswegen das länger dauert. Man kann hier nicht von „in Schweigen hüllen sprechen“.

    2) Die Rahmenwahlordnung würde ich bei „Das Kennwort darf keine […] zu Verwechslungen führenden Begriffe enthalten“ so verstehen, dass keine zwei Listen mit ähnlichen Namen kandidieren dürfen, weil diese sonst auf dem Stimmzettel verwechselt werden könnten. Alles andere könnte sogar zu weit führen und zum willkürlichen Ausschluss von Listen führen. Sonst könnte man mit dieser Begründung auch eine Liste „Die Linke Studiliste“ verbieten, weil Verwechslung mit jungen Mitgliedern der entsprechenden Partei möglich wären.

    3) Es ist nicht die Aufgabe des StWAs, Studierende über gesonderte Listen zu informieren. Ich würde sogar sagen, dies zu unterlassen ist seine Pflicht um neutral zu bleiben.

    Im Übrigen tagt der StWA hochschulöffentlich. Muss man die Namen der Teilnehmenden an dieser Stelle per Screenshot im Internet verewigen oder hätte auch eine geschwärzte Bebilderung genügt?

  2. Strafgesetzbuch (StGB)
    § 108a Wählertäuschung
    (1) Wer durch Täuschung bewirkt, daß jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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