Außenseiter – Spitzenreiter

Außenseiter – Spitzenreiter hieß eine der wenigen guten und bekannten Fernsehsendungen im DDR Fernsehen. Zu sehen waren meist skurrile und seltene Besonderheiten aus dem Alltag des Landes, Menschen mit besonderen Hobbys und ungewöhnlich Rekorde.

Potsdam sammelt aktuell wieder einmal solche ungewöhnlichen Rekorde – und alle freuen sich.
Alle?
Nein. Wir nicht.
Denn fast alle diese gerade wieder gefeierten Spitzenpositionen haben leider erhebliche Nebenwirkungen.
Außenseiter sind in den meisten Fällen die Menschen, die in Potsdam wohnen.

Also schauen wir mal an, was da gerade an Spitzenreitern gefeiert wird.

Das wichtigste Ranking war der sogenannte „Infrastrukturindex“ von Wirtschaftswoche und ImmoScout24. Hier holte sich Potsdam einen spektakulären 1. Platz unter 71 Großstädten der Bundesrepublik. Darüber haben sich wirklich alle gefreut: Unsere Lokalzeitungen sowieso, aber auch die BILD Zeitung und merkwürdigerweise auch die neue Oberbürgermeisterin Frau Aubel. Sie ließ per Mitteilung verlauten: „Viele Potsdamerinnen und Potsdamer werden die Ergebnisse des Rankings nachfühlen können. Unsere Stadt ist absolut lebens- und liebenswert.“
Keine Ahnung, wer da was gelesen hat.
Aber sich darüber zu freuen, dass ein Immobilienportal die hohen Mieten in der Stadt abfeiert ist schon etwas makaber.
Die 30.000 Student*innen in Potsdam sind laut Index auch so ein toller Spitzenwert. Dumm nur, dass es für die kaum Wohnheimplätze und auch keine anderen bezahlbaren Wohnungen gibt. Universitäre Orte hat man konsequent aus der Stadtmitte in die Außenbereiche verdrängt – hier sollen sich ja die Tourist*innen wohl fühlen, die laut „Sunday Times“ Potsdam schöner als Berlin finden.
Die Brücken sind toll, sagen uns die Forscher. Das scheint nun wirklich was mit Lebensqualität zu tun zu haben, Tag für Tag auf den beiden Brücken über die Havel im Stau stehen zu dürfen. Das mit dem Lob für Infrastruktur und Verkehr dürften auch Radfahrer*innen in Potsdam kaum verstehen. Noch immer ist das Hauptmittel der Verkehrswende, schmale Streifen auf die Straße zu malen. Die vielen weißen Fahrräder als Symbol für die Opfer einer automobilen Stadt werden die kaum gezählt haben.
Und natürlich die Havel. Potsdam liegt sooo schön am Wasser, da kann wirklich keine andere Stadt mithalten. Auch das können die meisten Menschen in der Stadt aber auch nicht so recht nachempfinden. Wasser ja, aber wie kommt man da ran?
An fast allen Zugängen zum Wasser sind in den Parks der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Baden, Sonnen oder Grillen strikt verboten – viel Spaß mit den Parkwächtern, die schon mal Kinder beim Spielen auf den Wiesen jagen.
Und der Rest ist längst mit Villen der neu zugezogenen Neureichen versperrt. Am Griebnitzsee, am Heiligen See, in der Berliner Vorstadt – überall wurden die Uferwege gesperrt.
Kein Zugang nirgends in der so tollen Stadt Potsdam.
Und die Entwicklung der Forschung hat man in Potsdam inzwischen privaten Milliardären wie Hasso Plattner überlassen. Der bekommt das gesamte Unigelände am Griebnitzsee gegen das Versprechen, irgendwann mal was Neues auf dem Brauhausberg zu bauen.
Und dann hätten wir bei dem Ranking noch den Spitzenplatz bei Klimaresilienz. Keine Ahnung, wo man das gemessen hat. Im Hochsommer auf dem glühend heißen Alten Markt? Oder an Hand der abgestorbenen Bäume in den Parks der Stadt? Oder beim Spitzenplatz bei Abrissen von Häusern?

In einem weiteren erfolgreichen Ranking wird Potsdam für seine vielen exzellent sanierten Häuser gelobt. Eine Studie von IW Consult und Immoscout24 ergab: Im Ranking der energieeffizientesten Wohnungsbestände belegt die Brandenburger Landeshauptstadt deutschlandweit den dritten Platz. Wir haben viel mehr Häuser toll saniert als alle Städte im Westen!
Ja, es sieht „schön“ aus in der Stadt. Die Fassaden in der Stadtmitte, in Babelsberg oder Potsdam West sind oft wunderbar sauber, glatt, historisch – und steril. Da, wo es es die alten Häuser zum Wiederaufhübschen nicht mehr gab, hat man einfach abgerissen und den Barock eben neu gebaut – Fakebauten aus Sandstein. Natürlich könnte man einwenden, das dies wenig klimafreundlich ist, aber da schauen wir einfach in die andere Studie oben, die uns ja bescheinigte, klimaresilient zu sein.
Kein Wort verliert diese schöne Studie darüber, wie es hinter den schönen Fassaden aussieht. Logisch, wenn ein Immobilienportal den Bauzustand vergleicht. Dass vor allem energetische Sanierungen und ständige Modernisierungen bei Immobilieninvestoren ein beliebtes Mittel sind, die Mieten hoch zu treiben – darüber steht hier kein Wort. Denn genau das ist die Konsequenz der „schönen“ Fassaden in Potsdam. Dahinter findet man dramatische Mieterhöhungen und zahllose Verdrängungen. Herr Kirsch in Babelsberg weiß, wie das funktioniert: Nicht genug, dass er in den 90 ´ern den halben Stadtteil durch gentrifiziert hat, gerade hat er wieder ein großes Mietshaus in der Breitscheidstraße 15 gekauft, aufgeteilt, in Eigentumswohnungen umgewandelt und saniert es umfassend und teuer. Zurück bleibt die nächste schöne Fassade und Dutzende verdrängte Menschen.

Das mit den historisierenden Fassaden wiederum ist auch dem britischen Boulevardblatt „Sunday Times“ aufgefallen. Ihr Urteil über Potsdam ist eindeutig: „Die schönere Alternative zu Berlin.“ So jedenfalls schwärmt die renommierte Zeitschrift in einem Reiseartikel über die Landeshauptstadt. Die Autorin empfiehlt einen Spaziergang zur Glienicker Brücke, ein Bier in der Meierei, den Blick vom Pfingstberg – und natürlich eine Bootstour über die Havel. Potsdam sei, so der Tenor, ein perfektes Wochenendziel, ein idealer Abstecher von Berlin aus. „Den von Sparzwängen gebeutelten Mitarbeitern des städtischen Marketings dürfte die Lektüre gefallen“. – titelte eine Lokalzeitung.
Warum?
Weil damit die Touristifizierung der Stadt weitergeht?
Damit noch ein paar neue Hotels statt Wohnungen gebaut werden?
Weil die Stadtmitte noch weniger für die Menschen nutzbar ist?
Damit sich noch weniger Bürger*innen sich ihre eigene Stadt leisten können?

Das bringt uns auf ein Ranking, was wahrscheinlich am Besten wieder spiegelt, wie es in Potsdam wirklich aussieht.
Bei einem sogenannten Leistbarkeitsranking des Immobilienportals Immowelt, das die Kaufkraft von Städtern mit den jeweils regionalen Kaufpreisen für Wohnungen vergleicht kommt Potsdam endlich einmal auf einen verdienten vorletzten Platz: Rang 105 von 106 Städten.
Heißt ganz einfach: Die große Mehrheit der Menschen in dieser Stadt können sie sich nicht leisten.
Die Schere zwischen Einkommen und Leistbarkeit (hier Kaufpreise für Wohnungen) ist so groß, dass es für Bürger*innen dieser Stadt kaum mehr möglich ist, ihre Wohnraum zu kaufen.

Ja, so ist das mit den schönen Rankings.
Man kann sich darin sonnen und selbst beweihräuchern.
Oder man schaut sich an, was das für die Menschen in der Stadt wirklich bedeutet.

Nein.
Wir wollen keine Stadt für noch mehr Tourist*innen, die sich über noch mehr schöne, historisierende Fassaden freuen. Wir brauchen keine weiteren Rankings von Immobilienportalen und Wirtschaftsmagazinen, die Potsdam eine tolle Verwertbarkeit bescheinigen. Und wir brauchen keine kritiklosen Lokalzeitungen und Lokalpolitiker*innen, die solche Rankings abfeiern, statt sie zu hinterfragen.

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