Halbwahrheiten und Wunschdenken

Nicht nur im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer. Auch beim beabsichtigten Wiederaufbau der Garnisonkirche war sie frühzeitig abhanden gekommen. Zwei Beispiele: Nur mit Spendengeldern sollte das Projekt errichtet werden, war einer der vielen falschen Aussagen. 2017 zum Reformationsjahr ist Einweihung. Am Ende hat den Bau der Turmkopie mehrheitlich der Staat bezahlt, Spenden machen nur einen Bruchteil aus. Und 2017 war lediglich der Baubeginn. Das Ende ist noch nicht absehbar. Von nachfolgenden Generationen ist manchmal die Rede.

Vor wenigen Tagen wurde eine Tafel an der Turmkopie angebracht. Auf ihr steht entgegen der Wahrheit: „Friedrich Wilhelm König in Preussen hat diesen Thurm nebst der Garnison Kirche zur Ehre Gottes erbauen lassen“, daneben steht: „anno 1735“. Beides entspricht nicht der Wahrheit. Bauherrin der Turmkopie ist die Stiftung Garnisonkirche. Gebaut 2017 bis 2025?

Dass der neue Turm dem barocken Original ähnlichsieht, steht außer Frage. Ähnlich klobig und größenwahnsinnig, umbaute Leere. Seine Raumstruktur ist aber eine völlig andere. Und seine Funktion soll es auch sein. Auch wenn immer wieder darüber diskutiert wird, ob nicht doch eine (teil-)militärische Nutzung, zum bspw. Opfergedenken für im Ausland gefallene Soldat*innen, stattfinden könnte. „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“. Die in Stein gemeißelte Botschaft des Lukas-Evangelium, Kapitel 1, Vers 79 soll den Bruch mit der Geschichte verdeutlichen. Soll das ein Eingeständnis sein, dass die ursprüngliche Kirche eine militärische, kriegerische und somit unfriedliche, also Gott missachtende Rolle hatte? Wozu dann die Tafel, dass die Hütte zu Ehren Gottes gebaut wurde? Zu Ehren welches Kriegsgottes?

Ungeachtet dieses Gedankengangs steht die Frage: Wollen sich Huber, Vogel, Eschenburg und Co; also die heutigen Erbauer mit der Tafel dem Preußen-König gleichsetzen? Ist das Amtsanmaßung, Größenwahn oder Realitätsverlust? Zumindest ist es eine Fake-Botschaft, die nun die Turmkopie „schmückt“. Gleichzeitig täuscht es vor, der Turm sei ein historisches Gebäude. Damit entwertet die Stiftung die echten Denkmale dieser Stadt. Nur eine kommentierte Tafel, mit dem Hinweis, dass das ursprüngliche Gebäude durch den Soldatenkönig errichtet wurde, hätte der Realität Rechnung getragen.

Die Halb- und Unwahrheiten nehmen kein Ende. Neuste Botschaft: Der Turmbetrieb soll bald aufgenommen werden und kostendeckend sein. Ein Witz oder eine erneute Fehleinschätzung?

„Mit einem minimalen Personalaufwand geht die Kalkulation derzeit auf“, versicherte Eschenburg der PNN.

Nach aktuellen Aussagen der Stiftung (siehe https://www.tagesspiegel.de/potsdam/landeshauptstadt/zwolf-euro-eintritt-potsdams-garnisonkirchturm-soll-im-april-fertigwerden–haube-bis-herbst-2025-10652863.html) soll der Eintrittspreis für Turm und Ausstellung 12,- Euro betragen. Für Gruppen sowie Schüler sind Ermäßigungen geplant. Das bedeutet in einer Mischkalkulation 10,- pro Besucher*in. Bei 80.000 Menschen pro Jahr macht dies 800.000 Euro Einnahmen. Etwas mehr als noch vor zwei Jahren veranschlagt (5 €/Nase). Den Einnahmen stehen aber Kosten von 1,3 bis 1,5 Mio. € gegenüber (z.B. Personalkosten, Lernort-/Ausstellungskosten, Gebäudebetrieb, speziell die Aufzüge, technische Wartung …). Diese Einschätzung basiert auf Auskünften diverser Museen und touristischen Einrichtungen. Leider legt die Stiftung zum Turmbetrieb und ihrer Behauptung keine Zahlen vor. Leider druckt der Tagesspiegel die Aussagen zur Kalkulation auch unkontrolliert und unkommentiert ab.

Auch die Aussage der Stiftungssprecherin Beatrix Fricke zur Eintrittspreisbildung ist irreführend: „Zudem müsse man bedenken, dass der Betrieb nicht subventioniert werde.“ Ohne Subventionen durch die Landeskirche (aktuell 500.000 Euro/Jahr) hätte die Stiftung schon längst dicht machen müssen und könnte nicht mal den Turmbetrieb aufnehmen. Nur mit weiteren Zuschüssen der EKBO kann die Kalkulation zum Turmbetrieb unserer Einschätzung nach, nicht mal annähernd „kostendeckend“ sein. Dies geht zu Lasten anderer Kirchen im Land.

Interessant ist auch, dass die Stiftung nun schon viele Monate äußert, dass die Ausschreibung für die Turmhaube in Vorbereitung ist, aber diese nicht beginnt. Kosten für das Projekt Turmhaube kann oder will sie auch nicht benennen. Für ein öffentlich gefördertes Bauvorhaben ist dies weder transparent noch versöhnlich.

Mehr zum Thema Bau- und Betriebskosten im Recherchebericht https://potsdam-stadtfueralle.de/2022/02/22/millionengrab-garnisonkirche-stiftung-mit-rechenschwaeche-turmbetrieb-defizitaer/

Hier noch eine kleine Rechenhilfe:

Die Stiftung Garnisonkirche rechnet mit 80.000 Besucher*innen im Jahr, um den Betrieb des Turmes zu finanzieren. Etwa 225 Besucher pro Tag (bei 360 Tagen), Frühling/Sommer eher 400, Herbst/Winter eher 100. Jeden Tag 225 Menschen. Gehen wir von einer Lastverteilung innerhalb des Tages aus, sind dies in Spitzenzeiten 50 Personen. Laut Zulassung dürfen aber nur 40 Personen gleichzeitig im Turmschaft sein. Es müssten als Zeitfenstertickets verkauft werden, die wiederum kontrollintensiv (also personal- oder technikintensiv) sind. Vor dem Turm müssten sich an Potsdams lautester Straße sogar kleine Besucher*innenschlangen bilden, wenn der erhofften Andrang eintreten soll. Im Jahr 2025 können nicht mal täglich 225 Menschen den Turm besuchen, da über Wochen die Turmhaube aufgesetzt wird. Wie so oft, ist Wunschdenken der Kern des Stiftungshandels und der PR-Arbeit.

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