Journalismus bedeutet immer noch Mut und Haltung

Ein Kommentar zur Berichterstattung über das Vorgehen eines Erdölmilliardärs gegen „Stadt für alle“ in Potsdam

In dem Antrag für eine „Einstweilige Verfügung“ über die Berichterstattung zum Investor auf dem ehemaligen RAW – Gelände Michael Zeligman wird uns „Verdachtsberichterstattung“ vorgeworfen.
Wir hätten presserechtlich die Pflicht gehabt, Michael Zeligman „anzuhören“.
Mal abgesehen davon, dass wir keine Presse sind, sondern eine politische Initiative.
Aber der Bericht von Henri Kramer in der PNN vom 13.09.2023 zur Anhörung über unseren Widerspruch zu eben dieser Verfügung vor dem Landgericht Potsdam erfüllt dann alle Kriterien einer solchen „Verdachtsberichterstattung“. Henri Kramer ist mindestens dreimal an mir als bekannten Sprecher des Netzwerkes vorbeigelaufen – ohne mich anzusprechen. Natürlich hat er auch unseren Anwalt nicht um Stellungnahme gebeten. Statt dessen wird fast eins zu eins die Position von Herrn Zeligman und seinem Anwalt Herr Partsch wieder gegeben.
Das krasseste Beispiel für eine geradezu falsche Berichterstattung ist die Aussage: „Die Concept Oil Services hält sich vollständig an alle internationalen Sanktionen“ – (dies) würde(n) in dem Text nicht erwähnt, so Partsch.“
Im durch die Verfügung betroffenen Artikel hingegen heißt es aber wörtlich: „Nein – wir behaupten hier nicht, dass Michael Zeligman gegen Sanktionen verstößt.“ Genau dies hatte Henri Kramer übrigens in einem ersten PNN – Artikel vom 30.07.2023 richtig wieder gegeben – und jetzt offensichtlich vergessen.

Leider fügt sich das nahtlos in die lokale mediale Berichterstattung über diesen brisanten und hochpolitischen Fall ein.
Wir haben seit gut 6 Wochen versucht, viele regionale Medien – natürlich auch die PNN und die MAZ, aber auch RBB, TAZ, Tagesspiegel oder ND auf diesen Fall aufmerksam zu machen.
Wir haben ihnen neue, noch nicht veröffentlichte Unterlagen zugeschickt, darauf aufmerksam gemacht, was es bedeutet, wenn ein Erdölhändler seine Gewinne ganz offensichtlich in Immobilien und Berlin und Potsdam anlegen will. Natürlich kenne ich längst Berichte russischer Oppositionsmedien wie https://istories.media/ über viel tiefere Verwicklungen von Zeligman in das Russland von W. Putin.

Sie wollen nicht.

Dabei ist es eigentlich egal, ob sie sich nicht trauen – wie hinter vor gehaltener Hand immer wieder formuliert – oder keine Kapazitäten haben – oder dies nicht wirklich politisch für schlimm halten.
Fakt ist: Lokale Medien greifen diesen Fall nicht auf.
Sie nutzen weder ihre technischen und finanziellen Möglichkeiten, um weiter zu recherchieren, noch haben sie den Mut, offensichtliche Fragen auch öffentlich zu stellen.

Dies ist ein absolutes Armutszeugnis für die Meinungs – und Pressefreiheit – eigentlich für die Demokratie.
Dabei greifen sie noch nicht einmal diesen offensichtlichen SLAPP auf. SLAPP bedeutet: „Mit SLAPPs (strategic lawsuits against public participaton) sollen kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden.“ formuliert das Umweltinstitut und inzwischen auch die EU.

Im Fall des Erdölmilliardärs Zeligman gegen „Stadt für alle“ hat der Kläger einen völlig überdimensionierten Streitwert von 500.000 € angesetzt und fordert Tausende Euros an Anwaltskosten.
Er hat in seinem Antrag auf „Einstweilige Verfügung“ mit Auslassungen und falschen Zitaten gearbeitet. Der Vorstandsvorsitzende eines Vereins ohne Konto soll 250.000 € zahlen oder für 6 Monate ins Gefängnis gehen.
Solche überdimensionierte Drohungen oder Forderungen nach beglaubigten Übersetzungen ziehen sich durch das ganze Verfahren.
Aber weder das Landgericht, noch die lokale Presse haben darauf jemals Bezug genommen.

Offensichtlich wollen sie nicht.

Für mich persönlich bleibt heute eine große Enttäuschung in das, was uns immer wieder als Rechtsstaat mit Meinungsfreiheit und Presserecht dargestellt hat.
Die vorsitzende Richterin hat das so formuliert. Die „Ehrverletzung“ eines Erdölmilliardärs zähle mehr als die Freiheit der Berichterstattung einer Bürgerinitiative.
Wow.
Im Grunde haben Zeligman, Partsch und co. heute deutlich gemacht: Getraut euch ja nicht, das Image von Investoren zu beschädigen.
Und das Landgericht Potsdam scheint ihnen folgen zu wollen.

Nicht mit mir.
Dazu habe ich mich in meinem politischen Leben schon zu oft mit den Mächtigen in diesem und vergangenen Ländern angelegt.
Ich bleibe dabei.
Es braucht Mut und Haltung, sich mit eben diesen anzulegen.
Das tue ich weiter – selbst, wenn mir dadurch juristisches Ungemach drohen sollte.
Es ist es wert. Für eine soziale Stadt mit Freiräumen und ohne Renditeobjekte.
Ich will kein riesiges IT Centrum mitten in Potsdam, was aus Gewinnen von Geschäften mit russischem Erdöl finanziert wird – egal ob von 2015, 2022 oder heute.

Übrigens:
Das Henri Kramer in der PNN dann auch noch die große und vielfältige Kundgebung vor dem Landgericht und die Teilnahme ukrainischer Aktivist*innen unterschlägt macht das Fass voll.
Ich erinnere mal daran, wie sich eben dieser „Journalist“ noch 2022 für Solidarität mit den Menschen in der von Russland angegriffenen Ukraine einsetzte – leicht und richtig vor allem auf Twitter nachzulesen.
Davon ist nun nichts mehr übrig geblieben. Jetzt sind alle seine Berichte über den Fall Zeligman und RAW die reine Wiedergabe der Position eines Erdölmilliardärs, der ganz sicher und ganz lange mit diesem dreckigen Rohstoff gehandelt und damit natürlich auch die russischen Staatskassen gefüllt hat.
Und hier noch mal ganz persönlich, weil ich die Dokumente aus der Schweiz, aus Russland, Zolldaten und Schiffsbewegungen kenne und gelesen haben: Natürlich hat die Concept Oil Services Ldt. bis mindestens Dezember 2022 mit russischem Erdöl große Geschäfte gemacht – also mitten im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Ich freue mich auf Eure Reaktionen.

Holger Zschoge

Dieser Kommentar gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion und des Vereins Mediamaro wieder, sondern ist die persönliche Position des Autors,

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2 Kommentare

  1. Krass, dass hier noch kein Kommentar veröffentlicht wurde. Ich bewundere eure Arbeit so sehr!

    Ich verbinde mit Potsdam meine Kindheit und habe immer mehr Sorge um die wunderbare linke Kultur dieser Stadt, die immer mehr von finanziellen Riesen bevölkert wird, die vor nichts zurückschrecken und anstatt sich selbst zu hinterfragen ihre Kritiker*innen lieber zum Schweigen bringen wollen. Widerlich!!!!!

    Da braucht es Leute wie euch, die auf diese Umstände aufmerksam machen so sehr! Und es braucht viel mehr Leute und Medien, die sich äußern! Wie kann es sein, dass selbst die „radikale Mitte“ lieber über einen dreckigen Erdölmilliardär schweigt als sich hinter euch zu stellen oder wenigstens zu recherchieren? Ist es Angst, als nächstes angeklagt zu werden? Haben Superreiche so viel Macht, uns alle einfach „totzuklagen“? Ich möchte das nicht!

    Potsdam soll lebenswert für alle bleiben!

    Macht bitte weiter so!

    1. Danke Charlotte!
      Uns erreichen natürlich auch auf anderen Wegen Solidaritätsbekundungen, aber das tut schon gut und macht Mut.
      Und natürlich machen wir weiter.
      Solidarische Grüße,
      Holger

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