Wir dokumentieren: Einen Gastbeitrag von Studierenden in Potsdam
Die Wohnsituation in Potsdam wird von Jahr zu Jahr schlechter. Mitunter besonders hart
getroffen von dieser Entwicklung sind Studierende. Zu Beginn des Semesters zieht es
tausende neue Gesichter nach Potsdam, doch wo und unter welchen Bedingungen kommen
diese unter? Genau zu dieser Frage habe ich einen Monat lang eine Umfrage durchgeführt.
Teilgenommen haben dabei etwa 1500 Studierende der Universität und Fachhochschule
Potsdam. Die Ergebnisse sind schockierend und sie zeigen ein großes Versäumnis der Politik
auf.
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. So lautet
Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Wichtigkeit des sozialen Zusammenseins steht
somit auf der gleichen Ebene wie der Erhalt des demokratischen Systems. Doch den
verantwortlichen politischen Kräften scheint dies nicht klar zu sein. Die derzeitige Lage
dürfte von der Politik nur in einem Szenario wie in der Weimarer Republik geduldet werden,
in dem das Soziale nicht in solch einer herausragenden Art und Weise in der Verfassung
verankert wäre; Nur die Politiker*innen eines solchen Staates würden darauf vertrauen, dass
die Grundordnung des Zusammenlebens inhärent gerecht ist und keiner staatlichen
Intervention bedarf. Frei nach dem Motto: “Der Markt regelt das!”. Doch die Gleichstellung
der sozialen mit der demokratischen Grundordnung, zwingt jede politische Strömung, welche
sich zum Grundgesetz bekennt, Eingriffe in den Markt vorzunehmen, wenn die Sicherung
sozialer Lebensumstände in Gefahr gerät und der Sozialstaat privaten Profitinteressen weicht.
Dieser Punkt ist auf dem Wohnungsmarkt weit überschritten.
So zeigen die vorläufigen Ergebnisse der Studie, das Studierende im Durchschnitt 47% Ihres
Monatsbudgets für die Miete ausgeben. Eine Faustregel die besagt, dass 30% des
monatlichen Budgets für die Miete aufgewendet werden sollen, können nur etwa 15% der
Studierenden befolgen. Hingegen geben 44% mehr als die Hälfte und jeder siebte sogar mehr
als 2/3 des Monatsbudgets für die Miete aus. Klar ist: viel bleibt da nicht übrig und so ist es
kein Wunder, dass jeder/jede zweite (54%) nach Abzug der Miete weniger als das
Existenzminimum von 532€ [1] zur Verfügung hat, Tendenz steigend.
Einfach nur das Wohngeld weiter zu erhöhen, so wie es bisher Praxis war, ist krachend
gescheitert. Letztes Jahr mussten 20 Milliarden Euro ausgegeben werden, um bedürftige
Menschen beim Wohnen zu unterstützen. Das ist Geld, das letztendlich in Form riesiger
Gewinne an Deutsche Wohnen und Co weiterfließt. Dieses Geld muss auch in Anbetracht der
noch geltenden Schuldenbremse besser genutzt werden. Zum Vergleich, der soziale
Wohnungsbau wurde 2023 mit lediglich 2,5 Milliarden unterstützt. Die Konsequenz: über
900.000 Sozialwohnungen fehlen. [2]
Doch Bauen alleine löst die Krise nicht, Problem ist weniger der Mangel an Wohnraum,
sondern ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Konkret am Beispiel der Studierenden
erkennt man dies an der niedrigen Unterbringungsquote von 9% (etwa 2400 Personen) in
den Wohnheimen des Studentenwerks. Der Grund: Die Kosten für Neubau sind hoch,
100.000€ müsse für einen Platz in einem neugebauten Wohnheim investiert werden, so Peter
Heiß, Geschäftsführer des Studentenwerks. Um mit diesen steigenden Kosten umzugehen,
welche vornehmlich auf explodierende Bodenpreise und die gestiegenen Zinsen
zurückzuführen sind, setzt sich Isabell Vandre (Die Linke) im Landtag für eine eigenständige
Förderung von studentischem Wohnraum ein. [3]
Gleichzeitig lassen sich auf dem freien Markt hohe Gewinne erzielen, wie die folgende
einfache Rechnung zeigt. Eine neu gebaute Wohnung kostet für das Studentenwerk 100.000
Euro. Da sich die Kosten über 33 Jahre abschreiben lassen ergibt dies pro Monat 252€. Im
Geschäftsbericht des Studentenwerks findet man zudem, dass pro Wohnung und Monat die
Kosten 107€ betragen. Rechnet man, hoch angesetzt, Instandhaltungskosten von 50€ hinzu,
so landet der Mietpreis bei etwa 410€. Im Gegensatz dazu zahlen Studierende für die
günstigsten, möblierten, privaten Wohnheims Plätze im Schnitt 613€. Somit ergibt das für die
privaten einen Gewinn von 203€ pro Wohnung (vor Abzug der Steuern). Eine konservative
Schätzung von 2000 Studierenden in privaten Wohnheimen ergibt auf das Jahr gerechnet
einen Gewinn von 4,9 Millionen Euro; also pro Person 2436€. Geld, das in den Taschen der
Studierenden viel dringender gebraucht wird, als bei privaten Unternehmen, welche zum Teil
durch vollkommen legale Steuertricks Milliardenbeträge am Fiskus vorbei schieben. [4]
Private Studierendenwohnheime sind nur eins der vielen Beispiele unsozialer
Wohnungspolitik. Es sollte klar sein, dass in diesem Fall eine Intervention gefragt ist, eine
Intervention so wie sie in Artikel 15 des Grundgesetzes vorgesehen ist: Grund und Boden,
Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein
Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere
Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Wenn also für den Bau neuer Autobahnen
oder dem profitorientierten Braunkohlebergbau ganze Gemeinden enteignet werden [5], dann
ist es naheliegend auch aus sozialen Gründen Enteignung vorzunehmen.
Aus diesen Gründen muss die zentrale Frage der jetzigen Wohnkrise lauten: Können wir es uns
gesamtgesellschaftlich noch leisten, dass Wenige auf Kosten der Allgemeinheit weiter Profite
einstreichen und immer reicher werden?
Quellen:
[1] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Steuern/14-
existenzminimumbericht.pdf?__blob=publicationFile&v=7
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sozialwohnungen-fehler-bundesregierung1.6333826
[3] https://isabelle-vandre.de/prekaere-wohnsituation-von-studierenden-beendenbrandenburg-braucht-eine-eigene-foerderrichtlinie-fuer-studentisches-wohnen/#more-1806
[4] https://potsdam-stadtfueralle.de/2020/06/20/von-potsdam-nach-panama-und-zurueck-2/
[5] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/enteignung-wo-sie-laengst-ueblich-sind-a1261854.htm