Warum 3. Oktober?

Der 3. Oktober ist Tag der deutschen Einheit, die es bis heute nicht gibt. Auch gab es keine Vereinigung auf Augenhöhe, sondern einen Anschluss. Woraus bis heute viele Probleme resultieren, denn in den Folgejahren wurde nie versucht, eine Wertegemeinschaft und Einheit herzustellen. Der Termin 3. Oktober ist ohne geschichtlich relevanten Bezug. Er hat aber eine Geschichte. Eine manipulative, eine strategische, von wesentlichen Parteiinteressen geprägte Geschichte. So wie die Volkskammerwahl vom 18. März 1990. Zu dieser „freien“ Wahl kommentierte später der Bürgerrechtler Jens Reich, einer der Begründer des Neuen Forums, der auch Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten war, die Frage der Entwicklung der Demokratie in der DDR so: „Das Bonner Nilpferd ist in einer Massivität gekommen, dass man einfach hilflos war. Im Wahlkampf ist einfach der gesamte Apparatismus des Westens in den Osten gebracht worden. Dem hatten wir nichts entgegenzusetzen. Das waren in die DDR exportierte Westwahlen.“ [1]

Das war der Ausgangspunkt für den einsetzenden Vereinnahmungsprozess des DDR-Gebietes durch die alte Bundesrepublik im Jahre 1990, die mit dem 3. Oktober einen weiteren Meilenstein erreichte.

Wie kam es zum 03. Oktober?

Bereits Anfang Juli 1990, unmittelbar nach der Einführung der D-Mark in der DDR hatte die Bundesregierung einen Zeitplan erarbeiten lassen, der für den 14. Oktober Landtagswahlen in der DDR und die gesamtdeutsche Wahl für den 2. Dezember vorsah. Die politischen Gewinne der D-Markt-Einführung sollten schnell abgeschöpft werden. In der Folge kam es, während die Verhandlungen zum „Einigungsvertrag“ liefen, sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik zu politischen Debatten über Wahlrechts- und Datumsfragen. Einigen PolitikerInnen konnte es nicht schnell genug gehen. Der Konsumrausch „der Ossis“ sollte genutzt werden, bevor sie merken, dass durch die Währungsumstellung ihre Betriebe platt gemacht werden müssen und sie ihre Arbeit verlieren. Allerdings scheiterte im Bundestag Anfang August ein Vorziehen des Termins der gesamtdeutschen Wahl auf den 14. Oktober, so dass es hierfür beim 2. Dezember blieb. Die diesbezüglichen Wählerlisten waren gemäß geltendem Wahlrecht spätestens acht Wochen vor der Wahl zu erstellen. Dieser Termin war Sonntag, der 7. Oktober 1990.[2] Folglich mussten alle Wähler spätestens im Verlaufe der 40. Kalenderwoche zu BürgerInnen des wählenden Staates gemacht werden. Der hierfür frühestmögliche Beitrittstermin ergibt sich aus dem Beschluss des Bundeskabinetts: „Der Bundesregierung erscheint jeder Beitrittstermin sinnvoll, der nach dem 2. Oktober liegt.“ [3] Und vor dem 7.Oktober! Sie oben (Achtwochenfrist). Aber auch weil dies der Republikgeburtstag war. Eine DDR-Feierlichkeit sollte vermieden werden, den die Wahl zum Bundestag hätte ebenso am 9. Dezember stattfinden können.

Grund für die zuletzt von der Volkskammer beschlossene Festlegung auf den 3. Oktober 1990 war die möglichst rasche Herstellung der Einheit auf Wunsch der Bundesregierung. Der 3. Oktober 1990 war der frühestmögliche Termin, der nach der KSZE-Außenministerkonferenz vom 2. Oktober lag, in der diese Außenminister über das Ergebnis der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen informiert werden sollten.[4]

Die Festlegung des Termins erfolgte schließlich in einer am 22. August 1990 von DDR-Ministerpräsident de Maizière beantragten Sondersitzung der Volkskammer, die um 21 Uhr begann. Nach hitziger Debatte gab die Präsidentin der Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, um 02:30 Uhr am 23. August 1990 als Abstimmungsergebnis bekannt:[5]

„Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990. Das liegt Ihnen in der Drucksache Nr. 201 vor. Abgegeben wurden 363 Stimmen. Davon ist keine ungültige Stimme abgegeben worden. Mit Ja haben 294 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 62 Abgeordnete gestimmt, und sieben Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist ein wirklich historisches Ereignis. Wir haben uns die Entscheidung alle sicher nicht leichtgemacht, aber wir haben sie heute in Verantwortung vor den Bürgern der DDR in der Folge ihres Wählerwillens getroffen. Ich danke allen, die dieses Ergebnis im Konsens über Parteigrenzen hinweg ermöglicht haben.“

Diese Selbstaufgabe der DDR-Führung kann auch als Begründung dafür dienen, dass es nie einen Vereinigungsprozess, sondern nur eine Vereinnahmung des Ostens gab. Bei einer Vereinigung hätte es eine Diskussion über eine neue Verfassung, eine neue Nationalhymne oder gar eine neue Flagge geben können oder gar müssen. Gab es aber nicht. Geblieben ist die Vormundschaft des Westens und deren Deutungshoheit über die angeschlossenen „Ostgebiete“ und deren eigene Geschichte.

Ob dies heute auch in Hamburg sichtbar wird, wissen wir nicht. Uns ist aber noch die blamable Eierlichkeit aus dem Jahr 2020 in Erinnerung, als in Potsdam per Gesetz gefeiert wurde.

Ausnahmsweise verweisen wir heute aus gegebenen Anlass mal auf ein Interview im Tagesspiegel: Andreas Dresen über ostdeutschen Trotz: „Die Welt, in der wir leben, ist nicht gottgegeben“ (tagesspiegel.de)

Kostenfrei sind hingegen unsere Beiträge zum Einheitstaumel von 2020:

und zum Wendedankfest 2020:

Quellen zum Text:

[1] Bürgerrechtler Jens Reich: „Politik ist nicht mein Beruf“. FOCUS-Online-Special 20 Jahre Wende,

4. November 2009; siehe auch  https://die-andere.org/wp-content/uploads/2020/10/aHEFT-FEB20-web.pdf Seite 33-37

[2] Vortrag von Werner E. Ablaß, Beauftragter der Bundesregierung für Sonderaufgaben der Bundeswehr in den neuen Ländern sowie ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium der DDR

[3] Regierungssprecher Hans Klein, zitiert nach Stephan Eisel: Der Beitrittsbeschluss der DDR-Volkskammer (PDF; 105 kB). In: Historisch-Politische Mitteilungen. Konrad-Adenauer-Stiftung, Herbst 2005.

[4] Kommuniqué des New Yorker Treffens der KSZE-Außenminister

[5] Zitiert nach Stephan Eisel: Der Beitrittsbeschluss der DDR-Volkskammer (PDF; 105 kB).

[6] Aus: DzD 1497–1498 Nr. 397 Schreiben der Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl an Bundeskanzler Kohl Berlin, 25. August 1990, Chronik von 2plus4.de.

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