Wohnen im Museum

Nun gibt es endlich die ersten Zahlen.
Sechs Jahre nach dem Abriss der Fachhochschule in der Stadtmitte von Potsdam haben Genossenschaften und private Investoren erstmals Zahlen über die künftigen Mieten in diesem neuen, alten Retro – Quartier öffentlich gemacht.

Was lange Zeit als gut behütetes Geheimnis galt ist nur klarer:
Ja, es wird bei den beteiligten Genossenschaften einige Wohnungen geben – geplant waren rund 15 % – die als Sozialwohnungen – vielleicht von Programmen der ILB gefördert – eine Mietpreis – und Belegungsbindung haben. Dort werden also 5,50 €, meist eher 7 €/ m² an Kaltmieten aufgerufen.
Viele der anderen Wohnungen vermieten die Genossenschaften „Karl Marx“ und PWG für 10,50 € und 10,98 €/ m².
Außerdem werden von der PWG offensichtlich einige Wohnungen für 25 €/ m² Kaltmiete angeboten – in einem Haus, was ursprünglich von einem privaten Investor gebaut wurde. Das wirft ein Schlaglicht auf die Mieten, die sehr wahrscheinlich in den meisten von Privaten erbauten Häusern am Alten Markt genommen werden.
Noch höher werden wohl die Gewerbemieten sein. Da werden aktuell Gewerbeflächen mit Mieten zwischen 25 und 35 €/ m² angeboten.

Aber was heißt das eigentlich für das in der Stadt noch immer hoch umstrittene neue Quartier?
Hier lohnt sich ein Blick zurück.

Da, wo heute Häuser gebaut werden, die aussehen sollen als wären sie in den glorreichen Jahren preußischer Herrlichkeit entstanden hatte viele Jahre die Fachhochschule ihren Platz – ein Treffpunkt junger Menschen, Kreativer und mit unterschiedlichen Geschäften und Galerien. Dazu kam das Ensemble des Staudenhofs mit kleinen Wohnungen und niedrigen Mieten.
Die sollten weg, um Platz zu schaffen für die „Wiedergewinnung der alten Mitte“, wie es in einem historischen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von 1990 hieß.
Um diese Pläne gab es viele Jahre erbitterte Auseinandersetzungen in der Stadt: Bürgerbegehren, Besetzungen, Demos, 24 – Stunden – Lauf, Kaufangebote – der Widerstand vieler Menschen in der Stadt gegen die Barockisierung ihrer Mitte hatte viele Gesichter.

Quasi als Zugeständnis an diese vielen Proteste versprach die Stadtpolitik:
„Um einen Beitrag zur Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum zu leisten, wurden bei der Vergabe der Baugrundstücke Angebote mit gefördertem und/oder mietpreisgebundenem Wohnungsraum, Selbstnutzer sowie Nutzungsangebote für öffentliche Einrichtungen für Kultur und Bildung privilegiert bewertet.“
Unter den bevorzugten und schließlich ausgewählten Bieter*innen waren auch Wohnungsbaugenossenschaften. In der Stadtgesellschaft gab es lange Diskussionen, warum sich Genossenschaften der Stadt auf diesen schwierigen Deal eingelassen haben. Denn im Grunde dienten diese Genossenschaften mit ihren Projekten immer als die Legitimation eines Konzeptes, was Viele von Anfang an kritisch betrachteten. Hier wurde kommunales Eigentum privatisiert, um etwas neu zu errichten, was eigentlich nicht mehr da war. Und vor allem – so eine wesentliche Kritik – würde hier ein Quartier errichtet, was für die Mehrheit der Menschen und die Stadt unbezahlbar würde.

Deshalb wollen wir hier mal nicht ausführlich auf die auch wichtige politische Debatte um diese Projekte sogenannter historisierender Stadtentwicklung eingehen – die ja längst auch in den Feuilletons konservativer Medien angekommen ist. Ein Zitat aus der FAZ vom Juni 2021 sei trotzdem erlaubt:
„Wenn einen die heimliche Hauptstadtwerdung und die allmähliche Verwandlung Potsdams in eine neobarocke Idealstadt trotzdem misstrauisch machen kann, dann liegt das weniger an einer geschichtspolitischen Absicht, die dahinter wirkte, sondern vielmehr an der Abwesenheit von Geschichte, dem völligen Fehlen ihrer Widersprüche und Abgründe. Die Bundesrepublik konnte hier keine hässlichen Spuren hinterlassen, die der DDR werden abgeräumt. Wilhelminische Kasernen heißen jetzt Paläste; und der Barock, der Baustil der Sinnlichkeit und der Gegenreformation, der im pietistischen Preußen ohnehin mehr Kulisse als innere Notwendigkeit war, der Barock ist nur noch das Dekor, das man vor Rohbauten aus Beton klebt, damit die antik und würdevoll wirken.“

Stattdessen wollen wir hier die aktuellen Zahlen aufgreifen, um die die soziale Frage zu stellen.
Für wen ist diese neue, alte Mitte und was kostet das eigentlich die Gesellschaft?

Die Zahlen zeigen vor allem eins:
Selbst mit einem Festpreis für die Grundstücke im Konzeptverfahren war und ist der Neubau solcher Häuser richtig teuer.
Leitbauten mit historischen Figuren und Stuckelementen, nach architektonischen Vorbildern und Grundrissen zu errichten kostet viel mehr als herkömmliche Neubauten. Dazu kommen Tiefgaragen, besondere Straßenführungen, notwendige archäologische Grabungen und Vieles mehr.
Das ist betriebswirtschaftlich eigentlich nicht darstellbar, wie selbst der Geschäftsführer von Condor Wessels V. Mulder in einem Interview gegenüber der MAZ über seine Projekte an der Alten Fahrt feststellte:

„Kondor Wessels hat auch das Humboldtquartier zwischen Landtag und Alter Fahrt errichtet. Würden Sie das heute noch einmal bauen?
Nein. Nicht mit unserem heutigen Wissensstand und wie es wirtschaftlich gelaufen ist. Wir kamen mit einem blauen Auge davon. Wir haben an der Humboldtstraße zu dem Zeitpunkt die nach Quadratmeterpreisen angeblich teuersten Wohnungen der Stadt gebaut, aber trotzdem nur Geld gewechselt. Das sage ich so offen: Die Wohnungen mussten zu den Preisen verkauft werden, damit wir überhaupt kostendeckend arbeiten konnten. Der Aufwand für die Spezialtiefbau- und Wasserhaltungsarbeiten für die Tiefgarage war immens und hinzu kamen die nachgebildeten Barockfassaden, die alleine fast 20 Prozent der Investitionskosten ausmachten.


Hätten Sie Interesse an der Errichtung vom sogenannten Block IV, der rund um die Stadt- und Landesbibliothek entstehen soll?
Nein. Schon bei Block III neben der Nikolaikirche wird es für die sechs Projektbeteiligten kompliziert. Enge Zufahrten, schwierige Logistik mit Wahnsinnsaufwand. Und was passiert, wenn der erste Riss am Fortunaportal oder der Nikolaikirche auftritt? Wer von den sechs war der Verursacher?


Dazu kommen Kosten, die natürlich auch die Gesellschaft tragen muss – selbst, wenn sie nicht für die Bauträger anfallen. Allein der Kauf der Fläche und der Abriss der alten Fachhochschule kostete viele Millionen. In Beantwortung einer kleinen Anfrage der Linken gab die Landesregierung Brandenburg am 21.03.2023 die Kosten für den Ankauf der Fläche mit 1.186.800,77 € und die Kosten für den Abriss mit 3.572.170,15 € an – getragen ausgerechnet aus dem Programm „Städtebauförderung“.
Dazu kommen die Kosten für Sicherungen, Rechtsverfahren, Ausschreibungen, Abfindungen (u.a. für die letzten Mieter*innen im Staudenhof), die Verlegung der alten und der Bau der neuen Infrastruktur. Der laufende Abriss des Staudenhofs wird noch einmal 2 Mio. € verschlingen, immerhin 400.000 € davon trägt die Stadt Potsdam selbst.
Wundert es wirklich noch wen, dass der Sanierungsträger – hier in Potsdam wie immer die kommunale Gesellschaft ProPotsdam – hoch verschuldet ist und gerade wieder einmal Häuser verkaufen will, um wenigstens Eigenmittel für den Neubau zu haben?

Wenn die Genossenschaften jetzt vor allem Mieten von knapp 11 €/ m² aufrufen und dies mit massiv gestiegenen Baukosten begründen, vergisst man, dass die Baumaßnahmen am neuen, alten Markt seit 5 Jahren laufen und auch die meisten Leistungsverträge schon vor einiger Zeit nach alten Preisen abgeschlossen wurden. Die Wohnungsgenossenschaft PWG rechnete im letzten Jahr mit insgesamt 44 Mio. € an Investitionen, wovon allein die Tiefgarage rund 7 Mio. € gekostet haben soll. Da die Genossenschaft angegeben hat, diese selbst zu finanzieren stellt sich auch hier die Frage, woher – wenn nicht von den Mieter*innen haben sie diese Mittel aufgebracht?

Die wenigen Wohnungen, die am Ende mit Mieten auf Grund von Belegungsbindungen angeboten werden müssten eigentlich mit staatlichen Fördermitteln der Investitionsbank des Landes errichtet worden sein. Interessanterweise gibt es auch dazu keine öffentlichen Informationen.
Vielleicht, weil es selbst mit deren Förderkonditionen fraglich ist, ob sich das rechnet? Nach den ILB – Konditionen in dem Beantragungs – und Umsetzungszeitraum können die zinsgünstigen Darlehen und Zuschüsse pro m² niemals gereicht haben. Spannend ist auch, dass Neubauprojekte eigentlich nur von der ILB gefördert wurden, wenn mindestens 50 bzw. 75 % der Wohnungen Sozialwohnungen sind. Welcher Deal ermöglicht Fördermittel, wenn gerade mal 15 % Sozialwohnungen sein werden?

Das kleine öffentliche Fenster, was gerade aufging und einen winzigen Blick in die Berechnung der Mieten dieser Häuser erlaubte, zeigt ganz klar: Am Alten Markt rechnet sich Bauen nur mit astronomischen zukünftigen Mieten. Vor allem wird dies deutlich in dem Bericht der MAZ am 22.03.2024, als die PWG erklärte, dass sie ein Haus eines privaten Bauherren übernommen hätte, dem die Kosten über den Kopf wuchsen. Das ist das Haus, wo heute Mieten von 25 €/m² kalt aufgerufen werden. Der PWG aber wachsen diese Kosten nicht über den Kopf? Warum nicht?
Das nährt für uns die Spekulationen, wie es wirklich um die betriebswirtschaftlichen Berechnungen dieser Bauprojekte der Genossenschaften aussieht. Was sind denn nun ihre realen Kosten? Wir würden wirklich gern mal wissen, wie die Genossenschaften von der Stadtpolitik überredet worden, sich auf auf ein solch riskantes Geschäft einzulassen. Und wie viel muss jetzt durch Altmieter*innen der Genossenschaften quer finanziert werden?

Das die meisten Gewerberäume noch gar nicht vermietet sind überrascht uns deshalb nicht. Die Gewerbeflächen dienen explizit der Querfinanzierung der „günstigen“ Mietwohnungen. Die werden sich in dieser Lage keine kleinen Gewerbetreibenden mit ihren Ladenlokalen oder Kneipen leisten. Am Ende kommen hier nur Filialen von großen Einzelhandels – und Gastronomieketten in Frage – Oder Büromieter*innen, die schon dort sind, wie die Verwaltungen der privaten Museen. Und Erstere werden die teuren Mieten auf die Preise umlegen. So wird es weiter nix mit dem gemütlichen Bier am Abend in diesem Museum.

Was also am Alten Markt entsteht, ist kein „vielfältiges, lebendiges Quartier für alle“, wie es auf den Marketingplakaten von Stadt und ProPotsdam heißt.
Es wird ein überteuertes Luxusquartier, deren Fassaden sich von außen vor allem Tourist*innen anschauen und wo in wenigen Wohnungen auch ein paar Menschen erstaunt nach draußen schauen, die für ein paar Jahre da wohnen können, wo sonst nur die Reichen und Schönen leben. Licht am Abend wird in den Fenstern wohl ähnlich wenig zu sehen sein wie an der Alten Fahrt.

Das an den Entscheidungen, der Gestaltung und der politischen Durchsetzung dieses Quartier teilweise die gleichen Menschen beteiligt waren wie heute beim Streitobjekt „Molkenmarkt“ in Berlin lässt erahnen, was dort zu erwarten ist. Dazu gehören unter anderem die heutige Senatsbaudirektorin Frau Kahlfeldt (Gestaltungsrat Potsdam, Auswahlkommissionen und Wettbewerben zu den Blöcken III und IV), der 2022 verstorbene Architekt Bernd Albers, welcher schon an der Alten Fahrt mit seinem Architekturbüro gebaut hat und das jetzt wieder Architekturbüro eines privaten Projektes am Alten Markt ist oder Tobias Nöfer, der maßgeblich dafür lobbyiert hat, die Fachhochschule abreißen zu lassen und das Gelände zu privatisieren.

Willkommen im Museum.

image_pdfRunterladen als PDF

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert