Ausverkauf im Milieuschutzgebiet

Seit dem 6. September 2023 hat die Stadt Potsdam ihre ersten beiden Milieuschutzgebiete.
Lange gefordert, lange gedauert, lange entwickelt gilt seitdem in der Teltower Vorstadt und in Babelsberg – Süd:
„Zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bedürfen in dem in § 1 bezeichneten Gebiet der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung.“
Begründet wird dies vom mit der Voruntersuchung beauftragten Landesweiten Planungsgesellschaft/ LPG so:
„Zusammenfassend ist in den beiden empfohlenen sozialen Erhaltungsgebieten ein in Teilen ausgeprägter wohnungswirtschaftlicher Aufwertungsdruck festzustellen. Gleichzeitig bietet das günstige Mietniveau im Wohnungsbestand, der vor einigen Jahren bezogen wurde, in Kombination mit den baulichen Aufwertungspotenzialen noch ein großes Steigerungspotenzial. Vor dem Hintergrund der soziodemografischen und sozioökonomischen Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist der günstige Mietwohnraum in den beiden empfohlenen sozialen Erhaltungsgebieten von besonderer Bedeutung bzw. Schutzwürdigkeit.“

Nun, Anfang 2024 zeigt in Blick in diverse Immobilienportale, dass ausgerechnet in Babelsberg – Süd jede Menge Wohnungen neu zum Verkauf stehen – als Eigentumswohnungen.
Viele von ihnen werden von dem Immobilienunternehmen Kirsch angeboten, es sind aber auch Wohnungen von Krentz Immobilien, Borchmann Immobilien und der IBK Immobilien GmbH dabei. Insgesamt zeigte Immobilienscout24 Mitte Februar 23 Kaufangebote für Eigentumswohnungen in Babelsberg Süd – fast alle im Bestand.
Betroffen sind Häuser in der Großbeerenstraße, Dieselstraße, Wattstraße oder Siemensstraße – also klar mitten im Milieuschutzgebiet.


Was bedeutet dies für die Menschen, welche in diesen Wohnungen leben?
Bei uns haben sich in den letzten Wochen vermehrt Mieter*innen gemeldet, welche aus ihren Wohnungen ausziehen müssen oder sollen, weil diese verkauft werden. Darunter sind Mieterinnen, deren Wohnungen jetzt in Eigentumswohnungen umgewandelt werden, aber auch solche, deren Wohnungen bereits in den letzten Jahren Eigentumswohnungen wurden und jetzt wieder verkauft werden.

Mehrere von ihnen haben uns ihre Geschichten erzählt. Sie klingen alle ähnlich – insbesondere in den Häusern, die zum Immobilienunternehmen Kirsch bzw. Kirsch & Drechsler gehören.
Wir werden zu ihrem Schutz hier weder ihre Namen, noch Adressen nennen, selbstverständlich sind uns diese Angaben bekannt, wir haben zu allen Berichten schriftliche Protokolle.

Herr Kirsch lässt es sich bis heute nicht nehmen, den Betroffenen persönlich mitzuteilen, dass ihre Wohnung verkauft würde und sie deshalb ausziehen müssten. Eine ordentliche Kündigung hat keiner der Menschen erhalten, die uns berichteten.
Dafür klingelt er an den Wohnungstüren, ruft an oder schickt Nachrichten – nicht selten am Wochenende und auch Abends. Übereinstimmend berichten Kirsch – Mieter*innen, dass sie auch auf ihren Handynummern angerufen wurden, die sie bei der Kontaktaufnahme angaben. Im Grunde läuft das Verfahren meist so ab: Den Mieter*innen wird mündlich mitgeteilt, dass ihre Wohnung verkauft würde oder gar schon verkauft sei. Dann wird ihnen ein Aufhebungsvertrag vorgelegt, den sie unterzeichnen sollen und wo ihr Auszug festgelegt wird. Von Anfang an wird ihnen klar gemacht, dass „sie raus müssen.“ Anfangs, so berichten diese, geschieht das durchaus noch freundlich. Meist wird eine Ersatzwohnung angeboten, manchmal auch, die Wohnung doch selbst kaufen zu können. Einige erzählen auch, dass ihnen Abfindungen zwischen 1.000 und 5.000 € angeboten worden. Allerdings sind die Ersatzwohnungen in der Regel viel teurer und oft liegen sie nicht mehr in Babelsberg, sondern zum Beispiel in der Wohnanlage am Stern (Großbeeren -/ Steinstraße).
Und – so erzählen es Mieter*innen aus verschiedenen Häusern erzeugte Herr Kirsch mit der begrenzten Liste von Ersatzwohnungen Konkurrenz und Neid in der vorher guten Hausgemeinschaft.

Nach der freundlichen Phase und vor allem, wenn der Aufhebungsvertrag nicht sofort akzeptiert und unterschrieben wird, werden die Aussagen und Kommunikationsformen deutlicher. Vor allem droht er mit Eigenbedarfskündigungen der neuen Eigentümer. Es finden regelmäßige Besichtigungen statt, Geschichten vom Schicksal von Mieter*innen, die sich wehren, werden erzählt. Alle Betroffenen berichten über großen zeitlichen Druck, in den meisten Häusern wurde wohl erst im Herbst letzten Jahres damit begonnen, die Menschen zu informieren, ein ganzer Teil von ihnen ist heute bereits ausgezogen. Da es keine schriftlichen Kündigungen gibt, spielen Fristen offenbar keine Rolle. Mieterinnen verschiedener Wohnungen werden gegeneinander ausgespielt.
In manchen Häusern bleibt am Ende nur ein großer Haufen von Spielzeug auf dem Hof – wo eine vorher gut funktionierende Hausgemeinschaft gemeinsam gelebt hatte.

Die Menschen, von denen wir gehört haben waren genau die, welche nach der Milieuschutzsatzung besonders geschützt werden sollten: Rentner*innen, Alleinerziehende mit Kindern, junge Familien. Jetzt müssen sie wegziehen, nicht alle haben wieder eine Wohnung in Babelsberg gefunden, immer ist die Miete jetzt wesentlich höher. In anderen Häusern, wo wir mit Mieterinnen gesprochen haben stehen die geräumten Wohnungen jetzt leer – teilweise seit Monaten.
Wir haben auch auch Berichte von Baumaßnahmen und und geplanten Umnutzungen erhalten. In einem Haus im Besitz und Verwaltung von Herrn Kirsch sollen Wohnungen zusammengelegt werden, in einem anderen Haus, was von der großen Immobilienverwaltungsgesellschaft Hachmann geführt wird finden nach Berichten der Mieter*innen Baumaßnahmen auf dem Dachboden statt. In einem anderen Haus wurde den Betroffenen erzählt, hier würden jetzt Büros entstehen.


Was bedeutet das für Potsdams erstes Milieuschutzgebiet?

Zuerst: Alle baulichen und Nutzungsänderungen bedürfen der Genehmigung.
Deshalb hat die Fraktion der Anderen auch in einer kleine Anfrage an die Stadt Potsdam das Thema aufgegriffen. Sie fragt, ob die Stadtverwaltung Kenntnis von diesen Verkäufen, vor allem von Kirsch & Drechsler hat, ob eine Genehmigungspflicht besteht und natürlich, ob Genehmigungen beantragt worden.
Eine Antwort auf diese Anfrage liegt uns bisher nicht vor.

Die Vorgänge im Milieuschutzgebiet Babelsberg Süd zeigen aber vor allem ein großes Problem der aktuellen „Sozialen Erhaltungssatzung“.
In dem schon oben zitierten Bericht der mit der Voruntersuchung beauftragten Planungsgesellschaft LPG heißt es:
„Nicht durch die Landeshauptstadt Potsdam anwendbar ist bisher der Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gemäß § 172 Absatz 1 Satz 4 BauGB. Dazu ist es erforderlich, dass das Land Brandenburg eine entsprechende Landesverordnung erlässt, eine sogenannte Umwandlungsverordnung.“
Mieter*inneninitiativen drängen darauf schon länger, die Stadt wurde mehrmals aufgefordert, sich gegenüber dem Land Brandenburg für eine solche Umwandlungsverordnung einzusetzen.
Wir fragen uns, in welcher Dringlichkeit fand dies statt? Warum handelt eine SPD – geführte Landesregierung nicht, wenn es in ihrer SPD – geführten Landeshauptstadt einen klaren Handlungsdruck gibt?

So werden im Milieuschutzgebiet Babelsberg Süd offensichtlich weiter Miet – in Eigentumswohnungen umgewandelt und verkauft. Herr Kirsch hat da aber vorgesorgt, die Wohnungen in den meisten seiner Häusern wurden schon vor einigen Jahren in Eigentumswohnungen umgewandelt und dann wieder vermietet. Welche sozialen Konsequenzen ein Weiterverkauf auf dem überhitzten Wohnungsmarkt der Stadt trotzdem hat haben viele Mieter*innen jetzt erfahren.

Bei einem genaueren Blick in die ausführliche Analyse von LPG lässt sich erahnen, welche Folgen die aktuellen Entwicklungen im Milieuschutzgebiet haben.
So heißt es in dem Bericht zum Untersuchungsgebiet:
„Demgegenüber steht eine Wohnbevölkerung, die durch ein hohes Verdrängungspotenzial gekennzeichnet ist. Dieses begründet sich durch einen hohen Anteil an Haushalten, die bereits eine hohe Warmmietbelastung aufweisen. Im Zuge wohnwerterhöhender Veränderungen der Gebäudesubstanz leitet sich eine hohe Verdrängungsgefahr für die Wohnbevölkerung ab, die zu einer Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in einer attraktiven städtischen Lage führen wird. Davon sind bestimmte Haushalte besonders betroffen wie armutsgefährdete und einkommensschwache Haushalte, Haushalte mit Kindern und Ältere. Die Wohnungen in den empfohlenen sozialen Erhaltungsgebieten sind bedarfsgerecht belegt. Durch den vorhandenen Wohnungsbestand wird die Versorgung von unterschiedlichen Haushaltsformen mit angemessenem Wohnraum sichergestellt.“

Genau diese Verdrängung aber findet aktuell statt.
Und die vorhandene „Soziale Erhaltungssatzung“ der Stadt Potsdam ist kein wirksames Instrument dagegen.

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