Es war der emotionale und rechtliche Höhepunkt der Einwohnerversammlung zu den Plänen auf dem ehemaligen RAW Gelände am letzten Mittwoch.
Saskia Hünecke, Stadtverordnete der Grünen stand auf und stellte fest: „Das, was hier dargestellt wird, wurde so in der Stadtverordnetenversammlung nicht beschlossen.“.
Vorausgegangen war eine weitere denkwürdige Einwohnerversammlung, diesmal erzwungen von der Anwohner*inneninitiatve „Teltower Vorstadt“.
Wie beim ersten Mal waren auch diesmal die „Fronten“ schnell klar: Hier die Verwaltung der Stadt Potsdam, dort die Bürger*innen der Stadt. Hier die Begeisterung der Wirtschaftsförderung (Herr Frerichs), die halbherzigen Erklärungen des Baubeigeordnten (Herr Rubelt), dort die Sorgen und die Wut der Menschen im Quartier (Verdrängung, Verkehr, Herkunft der Investoren und Vieles mehr). Neu aber war, dass Stadtverordnete der Stadt Potsdam vor Ort waren und – siehe oben – feststellten, die Verwaltung macht ja was ganz anderes, als wir beschlossen haben.
Für uns ist dies nichts Neues.
Wir kennen es, wenn die Verwaltung Gemeinschaftsprojekte verhindert, wenn sie keine Sozialraumanalysen für Erhaltungssatzungen erstellt, wenn sie Investor*innen hofiert und verheimlicht.
Vielleicht hat das sogar System in Potsdam.
Beim größten, jemals geplanten Gemeinschaftsprojekt in Potsdam hatten sich rund 60 Menschen aus 7 verschiedenen Initiativen um ein großes Grundstück in der Goethestraße in Babelsberg beworben. Ein Grundstück, was der Stadt gehörte und von der Verwaltung über die ProPotsdam tatsächlich mal nach einer Konzeptvergabe ausgeschrieben wurde. Die Bewerbung der großen Gemeinschaftsinitiative hatte große Chancen, selbst die Initiatoren eines Forschungsprojektes zum „Gemeinschaftlichen Wohnen“ in Deutschland unterstützten es.
Nach einem halben Jahr unbeantworteter Nachfragen kam die lapidare Antwort: „Die Ausschreibung war fehlerhaft und wurde zurück gezogen.“ Die in der Ausschreibung dargestellte Beteiligung der Stadtverordneten fand nie statt, die Nachfragen bei den Fraktionen ergaben immer, sie wüssten von nichts. Das Grundstück ist noch immer unbebaut, die Verwaltung plant, es nach weit höherem Verkehrswert neu auszuschreiben.
Die große Hausgemeinschaft in der Wichgrafstraße 11 hat seit über einem Jahr öffentlich signalisiert, dass sie den Verkauf ihres Mietshauses an Investor*innen fürchtet, Umwandlungen in Eigentumswohnungen, Verdrängung und Mieterhöhung. Deshalb wollten sie ihr Haus selbst kaufen und forderten die Stadt auf, ihr Vorkaufsrecht wahrzunehmen.
Denn: Das Haus liegt in einem Gebiet, für das 1992 eine Erhaltungssatzung beschlossen wurde. Darin wurde eigentlich deutlich festgelegt: „Ziel ist die Erhaltung der Zusammensetzung des Bevölkerung.“. Was 1992 wahrscheinlich nur aus dem Baugesetzbuch abgeschrieben war, sollte 1998 noch einmal Realität werden. In einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Potsdam wurde eine „Sozialraumrichtlinie“ mit festen Obergrenzen für Mieten in unsanierten Häusern festgeschrieben. Die Verwaltung bezweifelte die Rechtmäßigkeit dieser Richtlinie, setzte sie nicht um und freute sich mit dem Immobilienunternehmer W. Kirsch, als dieser erfolgreich dagegen klagte.
Seit nun 27 Jahren hat es in Potsdam weder eine Sozialraumanalyse noch eine rechtssichere „Soziale Erhaltungssatzung“ gegeben. Ein Vorkaufsrecht für die Wichgrafstraße 11 könnte es deshalb nicht geben.
Genau das hat die
Verwaltung dem Hauptausschuss nun mitgeteilt. Bereits kurz vorher war
es in der PNN zu lesen – von wem durchgestochen?
Da die neue
Beigeordnete für Soziales, Frau Meier, gleichzeitig an einer neuen,
tatsächlich rechtssicheren Erhaltungssatzung arbeitet, stellt sich
auch hier die Frage: Welche Interessen und Werte vertritt eigentlich
die Verwaltung?
Im Grunde ist dieses wie eine Aufforderung an
den Besitzer: Bitte schnell an Investoren verkaufen, bevor uns die
neue Stadtverordnetenversammlung tatsächlich dazu zwingt, eure
Immobiliendeals zu regulieren.
In der Wollestraße 52 kämpfen Menschen schon seit 5 Jahren darum, dass eines der letzten unsanierten, nicht an Privateigentümer verkauften Häuser eben nicht auf dem Immobilienmarkt verkauft wird, sondern an ein Gemeinschaftsprojekt im Mietshäusersyndikat.
Es ist eine unendliche Geschichte.
Immer wieder hat der private Treuhänder der Stadt neue Forderungen und Zweifel formuliert: Die Baukosten wären viel zu niedrig, das Syndikatsmodell zu undurchsichtig, die Finanzierung unklar.
Vor allem bezweifeln sie die Idee, dass eine nichtkommerzielle Gemeinschaft Wohnraum für alle schafft. Im Mai 2019 hatte die Stadtverordnetenversammlung schließlich beschlossen, das Haus an die Gemeinschaft zu verkaufen.
Gut 5 Monate später hat sich nichts getan. Im Gegenteil, jetzt im September 2019 teilt die Verwaltung dem Bauausschuss mit, da ein Hauptmieter abgesprungen sei, stünde das Modell einer „Mieterprivatisierung“ zur Diskussion. Dieses Konstrukt einer „Mieterprivatisierung“, was sich die Verwaltung ausgedacht hatte – ohne es mit der Gemeinschaft abzustimmen – ist an sich abstrus. Eine Syndikatsprojekt ist eigentlich immer das Gegenteil von Privatisierung, sondern eine Vergemeinschaftung von Eigentum. Der jetzige und auch spätere Mieter ist übrigens nicht abgesprungen, sondern kann sich aus persönlichen Gründen nicht vorstellen, Verantwortung im Hausverein zu übernehmen. Er wohnt dort weiter, wird im neuen Syndikatsprojekt wohnen und arbeitet mit an den Sanierungsplanungen.
Einen Entwurf für einen Kaufvertrag hat die Verwaltung noch immer nicht vorgelegt.
Nun also das „Beschleunigte Verfahren“ für die Investoren auf dem RAW – Gelände.
Da hat die mehrfache, öffentliche Drohung des Geschäftsführers der RAW Potsdam GmbH die Verwaltung zu einer Turbo – Beschleunigung getrieben. Stadtplaner und Anwälte, die wir inzwischen hinzugezogen haben, formulieren das so:
„Denn es geht nicht um eine normale öffentliche Auslegung eines B-Plans, sondern um eine öffentliche Veranstaltung, weil die Behörde beabsichtigt vor der öffentlichen Auslegung im B-Planverfahren schon eine Baugenehmigung zu erteilen.“
Heißt, die Einwohnerversammlung kam der Verwaltung vielleicht sogar sehr Recht, weil sie auf diese Weise die Möglichkeit erhält, das Verfahren abzukürzen und schon VOR Beschlusslage durch die SVV die sogenannte „Planungsreife“ zu erklären und damit einen vorzeitigen Baubeginn zuzulassen!
Weiter unsere Expert*innen: „Siehe BauGB §33 Absatz 3 Satz 2. – Bei einem solchen Vorhaben ist ein solches Vorgehen schon ein starkes Stück. Eigentlich müsste sich die Stadtverordnetenversammlung gegen ein solches Vorgehen der Behörde verwahren.“
Na mal
sehen.
Eigentlich ist es längst Zeit, dass sie die
Stadtverordneten in Potsdam die Hoheit über die Stadtentwicklung von
der Verwaltung zurück holen!