Appell für Koexistenz von RZ und GK-Turm

Vor fast 20 Jahren wurde der „Ruf aus Potsdam“ veröffentlicht, um für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu werben. Am heutigen 21.April treten 100 namhafte Personen aus Kultur, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit dem „Potsdamer Appell“ an die Öffentlichkeit, um für die Koexistenz der Kopie des Garnisonkirchturms und den Überresten des Rechenzentrum Potsdam zu plädieren. Das direkte Nebeneinander dieser beiden entgegensetzen Bauten mache ihrer Meinung nach die deutsche Geschichte in ihrer Widersprüchlichkeit anschaulich. „Zugleich sei ihre Koexistenz Ausdruck einer liberalen und vielfältigen Stadtgesellschaft, stünden doch beide Bauten für unterschiedliche Akteure und Haltungen in der Gegenwart. Hierin läge das einzigartige Potenzial dieses seit Jahrzehnten umstrittenen Ortes, der nicht einer Bereinigung der Geschichte geopfert werden solle.“ Unseres Erachtens ist der Nachbau des GK-Turms nicht nur ein Akt der Bereinigung von Geschichte, sondern deren rechtslastigen Neuschreibung und Verklärung.

Zu den 100 Erstunterzeichner des Appells gehören Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Inken Baller, Max Czollek, Andreas Dresen, Brigitte Franzen, Hans Ulrich Gumbrecht, Thomas Heise, Kasper König, Matthias Sauerbruch und Stefanie Schüler-Springorum. In bemerkenswerte Breite sind Kulturschaffende und WissenschaftlerInnen an dem Appell beteiligt, die wichtige Institutionen in Potsdam leiten. Zu ihnen gehören Frank Bösch (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung), Oliver Günther (Universität Potsdam), Bettina Jahnke (Hans Otto Theater), Katja Melzer (Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte), Susan Neiman (Einstein Forums), Miriam Rürup (Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien), Hans Joachim Schellnhuber (Bauhaus Erde, Potsdam), Julius H. Schoeps (Moses Mendelssohn Stiftung), Christoph Martin Vogtherr (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten), Sophie Wolfrum (Gestaltungsbeirats Potsdam) sowie die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats Lernort Garnisonkirche. Ferner unterzeichneten auch einige heutige und ehemalige Amtsträgern der evangelischen Kirche Berlin Brandenburg Oberalusitz (EKBO) den Aufruf.

Die weitere Entwicklung rund um die Plantage kann durch das Nebeneinander von Garnisonkirchturm und Rechenzentrum geprägt sein (obwohl die Stiftung bisher nie ein Interesse daran hatte und sich immer stärker davon distanziert). Trotzdem sollten die Pläne für den Abriss des Rechenzentrum nach Wunsch der Appellierenden endgültig aufgegeben werden. Dem stimmen auch wir zu, auch wenn wir den Appell als Netzwerk nicht unterzeichnet haben. Die Handhabe zum Erhalt des RZ hat jedoch vor allem die Stadt Potsdam selbst. Dazu in den nächsten Tagen mehr von uns. Erst einmal dokumentieren wir den „Potsdamer Appell“.

Appell für die Koexistenz von Garnisonkirchturm und Rechenzentrum Potsdam

Seit drei Jahrzehnten wird über den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam und die Zukunft des ehemaligen Rechenzentrums gestritten. Das Thema polarisiert in der Stadtgesellschaft, in der evangelischen Kirche wie auch in der bundesweiten Öffentlichkeit. Um zwischen den widerstreitenden Vorstellungen zu vermitteln, initiierte die Stadt Potsdam vor zwei Jahren einen mehrphasigen Prozess, der die Akzeptanz der historischen Komplexität des Ortes zum Ausgangspunkt machte. Im Dezember 2021 verständigten sich Stadt, die Stiftung Garnisonkirche und das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum auf das Konzept „Forum an der Plantage“. Grundidee hierbei war, dass sich sowohl die Stiftung Garnisonkirche als auch das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum selbst zurücknehmen, um der Stadt Platz einzuräumen, als dritter Akteur im Bereich des ehemaligen Kirchenschiffs ein Haus der Demokratie und Geschichte zu errichten. Dieses soll die Koexistenz von Kirchturm und Rechenzentrum erlauben und zugleich „deutlich den Bruch mit der architektonischen Sprache und Geschichte der beiden bestehenden bzw. wiederentstehenden Bauten ausstrahlen“. Auch wenn diese Vision noch viele Fragen unbeantwortet ließ, gelang es zunächst, den Dauerkonflikt produktiv zu wenden, und in dem direkten Nebeneinander der entgegensetzen Bauten von Kirchturm und Rechenzentrum deutsche Geschichte lesbar zu machen und einer pluralen Stadtgesellschaft Raum zu geben.

Doch ein Jahr nach der Verständigung stellt die Stiftung Garnisonkirche das alles in Frage. Anstatt eines Zusammenwirkens auf Augenhöhe soll nun das Rechenzentrum auf Abstand gehalten und an den Rand gedrängt werden. Das städtische Projekt soll zudem kein eigenständiges drittes Element mehr sein, sondern sich inhaltlich wie baulich dem Kirchturm der Garnisonkirche anfügen. Diese Haltung sucht, mit dem eigenen Geschichtsverständnis den Ort zu dominieren. Doch dies wird weder dessen konfliktreicher, widersprüchlicher Geschichte noch den pluralen Positionen der Stadtgesellschaft gerecht.

Die zukünftige Entwicklung des Ortes sollte die Koexistenz von Garnisonkirchturm und Rechenzentrum zum Ausgangspunkt haben. In diesem spannungsvollen Gegenüber von Bau und Gegenbau wird deutsche Geschichte anschaulich und im Stadtraum begreifbar. Zugleich stehen beide Bauten für unterschiedliche Akteure und Haltungen in der Gegenwart. In ihrer Koexistenz manifestieren sich die Möglichkeitsräume unserer liberalen und vielfältigen Gesellschaft. Hierin liegt das einzigartige Potenzial dieses symbolischen und seit Jahrzehnten umstrittenen Ortes, das nicht einer Bereinigung der Geschichte geopfert werden sollte.

Siehe auch: Appell für die Koexistenz von Garnisonkirchturm und Rechenzentrum Potsdam – lernort | garnisonkirche (lernort-garnisonkirche.de)

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